Peene-Kilometer 30, Demmin – Sophienhof, 17,3 Kilometer, 5,5 km/h

Heute starten wir unter wolkenbedecktem Himmel und steuern zunächst den örtlichen Netto an, um unsere 33 Bierbüchsen wegzubringen. Das Ergebnis von drei Nächten geselligem Beisammensein. Ein kleiner Stichkanal erlaubt uns, direkt am Supermarkt festzumachen. Über ein Partyboot hangele ich mich auf die Promenade. Hier liegt ein Anglergeschäft, riesig wie anderswo Elektronikmärkte. In den nächsten Tagen werden wir sehen, warum: Angeln ist an der besonders fischreichen Peene unumschränkter männlicher Volkssport.

Nach der Klappbrücke – größere Boote müssen die nur vier täglichen Öffnungszeiten beachten – beschreibt die Peene einen langen Bogen um Demmin herum. Die Landschaft verändert sich deutlich. Der Fluss windet sich kaum noch, wird stetig breiter, fast seenartig. Baumreihen oder abgestorbene Bäume fehlen heute völlig. Hinzukommen die vielen Torftstiche, in die wir allerdings nicht hineinfahren. Zum einen kämpfen unsere Muskeln um jeden Paddelschlag, zum anderen soll man sie vermeiden, da die Gebiete „wertvolle Rückzugsgebiete für die Tierwelt (z.B. Fischotter) sind“, wie unser Tourenatlas von Jübermann informiert.

Wir machen Rast im hübschen Städtchen Loitz (ausgesprochen „Lötz“). Schon von weitem hatte hier als Wahrzeichen ebenfalls ein prächtiges Speicherhaus gegrüßt. Am Imbiss beim Hafenmeister essen wir Backfisch und trinken das längst obligatorische Naturradler-Lübzer Grapefruit.

In Sophienhof, Flusskilometer 47, finden wir unseren schönsten Übernachtungsplatz. Eine Badewiese mit langem Holz-Kai direkt am Wasser. Hier macht es sich gut, dass die Landschaft so weit geworden ist und keine Bäume auf der anderen Seite des Ufers mehr den Blick begrenzen. Kilometerweit können wir gucken, stundenlang Sonnenuntergang und Dämmerung bestaunen – durch Schleierwolken zur Nacht hin dramatisch inszeniert. Wir können uns nicht satt sehen, wollen nie mehr weg von diesem Steg und ewig in die Ferne schauen. Wie an den vergangenen Tagen genießen wir es, auf dem Steg zu essen, zu trinken und endlos zu reden. In der Ferne grüßt der Zwiebel-Kirchturm von Loitz.

In Sophienhof hat sich auch das Feld der Mitreisenden merkwürdig ausgedünnt. Nur eine Gruppe von acht Pfadfinderinnen rastet hier. Zu meinem Erstaunen und dem der am Abend erscheinenden „Hafenmeisterin“, die die zehn Euro für die Nacht abkassiert, passen sie in ein einziges Tipi. So wie es sich bei ihnen gehört, bestreiten sie jede Aktivität gemeinsam und ausgesucht harmonisch. Sie sammeln zusammen Feuerholz, beten und singen, begleitet von einer Gitarre am Lagerfeuer – die perfekte Untermalung für die magische Dämmerungsstimmung hier an der Flussbiegung.

Doch das vollständige Paradies gibt es eben nicht: Wir schreiben Freitag und die Dorfjugend hat diesen – ihren – Platz ebenso liebgewonnen wie wir. In einer Pause zwischen zwei Pfadfinderliedern schalten sie ihre Musikanlage ein. Erst bin ich verärgert ob des Kontrastprogramms, das allenfalls zu einem grauen Sturm gepasst hätte. Aber dann drehen sie erstaunlicherweise ihre Anlage leiser. Und ihr Musikgeschmack ist auch recht kompatibel. Sie amüsieren sich einfach, nur eine von ihnen grölt und begrüßt prollig alle Neuankömmlinge. Allein um meine Nachtruhe fürchte ich etwas, ich hatte mein Zelt extra am Rande der Wiese aufgestellt – da, wo deren Sitzecke ist. Doch um Mitternacht sind sie auf einen Schlag weg. Nicht, dass sie sich von uns hätten verabschieden sollen. Wir aber haben nicht einmal gehört, dass zum Aufbruch geblasen oder flaschenklimpernd ihre Sachen zusammengesucht haben. Erst als lange nach einem Lied das Nächste nicht mehr folgt, wende ich mich um und erkenne, dass sie weg sind.

Nun drehen ausgerechnet die braven Pfadfinderinnen auf. Sie legen sich neben uns auf den Steg, schauen in den Himmel und schreien beim Anblick von Sternschnuppen auf, als wäre es ein erotisches Vergnügen. Falko und ich sehen uns irritiert bis amüsiert an. Lange noch, selbst als wir im Zelt sind, giggeln sie laut herum. Ich frage mich, ob es Gruppendynamik ist, die sehr späte Stunde oder doch ein wenig Alkohol, den ich bei ihnen nicht vermutet hätte.

Tipp: Im liebevoll hergerichteten „Dorfladen“ in einem großen Backsteingebäude gibt es kühles Bier, Grundnahrungsmittel und ein Café mit Eis.

Hier geht es zu Tag 6, von Sophienhof nach Gützkow.