Peene-Kilometer 68, Gützkow >> Stolpe an der Peene. 12,5 km, 4,7 km/h

Auf einem Zeltplatz mit vielen Kindern herrscht natürliches frühes Treiben. Doch nach sechseinhalb Stunden Schlaf fühle ich mich fit. Erstaunlicherweise steckt mir die gestrige Tour nicht in den Gliedern, ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet. Trotzdem schalten wir einen Gang tiefer und nehmen uns heute lediglich zehn Kilometer vor. Bis zu unserem Ziel in Anklam sind es nur etwas mehr als 20 Kilometer, wir aber wollen heute noch nicht ankommen.

Unser überschaubares Pensum entpuppt sich als Vorteil. Pünktlich zu unserer Abfahrtzeit ergießt sich für anderthalb Stunden ein Sturzregen. Fünf Minuten später und wir wären bereits auf dem Fluss gewesen. Stattdessen verbringen wir den Regen unter einem Unterstand und fachsimpeln mit einer durch und durch hanseatischen Blondine mit nordischem Akzent. Es stellt sich heraus: Sie stammt aus Leipzig und ist hier mit Mann, Kindern und zwei Pouch-Faltbooten RZ 85 unterwegs. Zwei von vier Familienerbstücken. Eine gute Partie.

Erst gegen 15 Uhr klart es auf, aber wir müssen nur gut zwei Stunden fahren. Die Landschaft zeigt sich mit mehr Bäumen und Windungen wieder reizvoller, obwohl der Fluss zunehmend breiter wird.

Kurz vor 18 Uhr erreichen wir Stolpe an der Peene. Gleich am Hafen grüßt ein edles Restaurant mit Terrasse an einer großen Wiese, der Stolper Fährkrug. Auf der Internetseite heißt es:

Ein historisches Wirtshaus – über 350 Jahre alt. Dort, wo die Fähre über die Peene setzt (die bis vor 300 Jahren noch Grenzfluss zu Schweden war), wird deftige pommersche Genussküche serviert. Hering und Bratwurst, genossen auf der alten Reuterbank, wo zu seiner Zeit der Dichter Fritz Reuter oft ein rustikales Vesper verspeist hat.

Hier könnten wir heute ebenfalls speisen, sagen wir uns. Obwohl nichts so urig ist, wie ein Mahl vom Campingkocher. Doch abends bedienen sie leider nur Hotelgäste, wie uns ein Schild später verrät. Also werden wir uns Kartoffeln mit Quark und Gemüse zubereiten. Noch allerdings ist es nicht so weit.

„Was soll das denn werden?“, herrscht uns ein Mann an, der sich sogleich als Hafenmeister entpuppt. Endlich! Die von mir erwarteten griesgrämigen Einheimischen habe ich so vermisst. Wir hatten direkt am Steg festgemacht, um die Lage zu erkunden, da weist er uns straff ein: „Da geht es rein“, befiehlt er und zeigt auf einen kurzen Kanal mit gut getarntem Wasserwanderrastplatz-Schild, das man – wenn überhaupt – nur aus der entgegengesetzten Richtung erkennt. Dafür ist der Zeltplatz, den der schroffe Gastgeber ebenfalls vermietet, idyllisch, selbst wenn die Wiese einmal hätte gemäht werden müssen. Die extralangen Grashalme sind vom Regen triefend nass. Die Öffnungszeiten der Waschräume laden ebenfalls nicht gerade zum Verweilen ein, aber es heißt ja auch „Wasserwanderer“: Ab zehn Uhr morgens werden sie gesperrt und gereinigt – und kosten danach 50 Cent Eintritt, macht uns der Pächter mit den weiteren Vorzügen seiner Einrichtung vertraut. Anders als an den meisten Orten kommt hier aus den Wasserhähnen am Waschbecken kein warmes Wasser. Aber alles in allem ein nettes Fleckchen, auch wenn es mit 21,80 Euro das Zweitteuerste.

Bald taut der Pächter auf und wir werden ebenfalls warm mit ihm. Seine Grillbude mit Plastikstühlen bildet das Kontrastprogramm zum Gutshof-Restaurant. Wir richten uns für den Abend bei ihm ein und bestellen das erste frischgezapfte Bier seit einer Woche. Und hier endlich sehen wir auch die beiden Frauen mit ihren Kindern aus Malchin wieder, nach denen wir fünf Tage Ausschau gehalten hatten. Wir trinken zusammen, lernen weitere Gleichgesinnte kennen und es entspinnt sich das, was ich mir die ganze Zeit schon vorgestellt hatte, nämlich geselliges Beisammensein mit Reisegefährten.

Plötzlich öffnet der Himmel wieder seine Schleusen. Wir ziehen uns in den improvisierten Unterstand der Kneipe zurück, eine Art Schutzhütte, und treffen dort bei Bier und Wein den Bürgermeister von Gützkow, Marcel Falk. Ein Original wie der Fährmann von Aalbude, beide sogar amtlich. Natürlich kennt er jedes Geheimnis seines Orts, von denen er einige mit uns teilt, und beantwortet sogleich alle meine neugierigen Fragen, teils augenrollend und gepaart mit ein wenig Dorfklatsch. Mit Schalke-Fan Falko entbrennt ein heißes Gespräch über Fußball. Der Bürgermeister ist Hansa-Rostock-Anhänger. CDU-Jungstar Philipp Amthor hat hier nicht nur seinen Bundestagswahlkreis, sondern den Wahlsieg als Direktkandidat sogar im Guthof nebenan gefeiert. Marcel Falk selbst ist erst seit kurzem SPD-Mitglied, war vorher parteilos und möchte 2021 in dem haushohen AfD-Wahlkreis das Landtagsmandat erringen. Der über die Ortsgrenzen hinaus bekannte Hans Dampf plant großes mit seiner Gemeinde, die als einzige hier den Fluss sogar im Namen führt. Vor Begeisterung dreht er regelrecht auf: Der Hafen wird auf beiden Seiten der Peene großflächig für je 7,5 Millionen Euro Fördermittel ausgebaut. Noch mehr Liegeplätze, „auf keinen Fall aber für große Hausboote“. Die Kneipe hier werde dann auch nach 20.30 Uhr noch ausschenken (wir zehren bereits von der „last Order“ – und Wasserwanderer landen auf der anderen Seite der Peene, erzählt er uns Wasserwanderern. Sie können ja mit ihren Booten auf ein Bier übersetzen. Wir sind skeptisch, ob wir abends noch einmal in See stechen würden.

Unser Nachtplatz trieft vor Nässe und ist klamm. Glücklicherweise haben sich die anderen schon an einem großen Feuer versammelt. Wir sind froh, im Trockenen zu sitzen und uns mit Gleichgesinnten zu unterhalten. Wir schwelgen in großer Runde. Leider ist morgen in Anklam schon Schluss. Ausgerechnet als ich um die Ecke gehe, entdeckt Falko bei uns am Zelt einen Biber, ein ausgewachsenes Exemplar. Er ruft alle vom Lagerfeuer und sie bestaunen den unbeeindruckten Nager. Als ich zurückkomme, hat er sich schon ins Schilf verzogen. Falko wird ihn die ganze Nacht hören und wenig Schlaf finden. Doch zum Glück fällt dieses Mal kein Baum um.

Hier geht es zur finalen Etappe am Tag 8, von Stolpe an der Peene nach Anklam.