Badeausflug in die Sahara

18 Tage mit Kamel und Jeep durch die libysche Wüste

Um el Maa - die "Mutter des Wassers"

Um el Maa - die "Mutter des Wassers"

Gleißende Saharasonne, ein riesiges Dünenmeer im Süden Libyens, mehr als 700 Kilometer sind es bis zur Küste - es kann nur eine Fata Morgana sein: Vor uns erstreckt sich ein langer See mit wogendem Schilf und üppigen Palmen am Ufer. Doch obwohl es wie eine traumhafte Sinnestäuschung aussieht - das Gewässer inmitten der glühenden Wüste ist echt, und der Wüstenurlaub wird unterbrochen durch einen Sprung ins kühle Nass.

An der Oberfläche ist Um el Maa - die «Mutter des Wassers» - von der kalten Wüstennacht noch sehr frisch, doch in nur einem Meter Tiefe wartet das Kontrastprogramm: siedend heißes Wasser. Würde der starke Salzgehalt nicht den Körper an die Oberfläche drücken, könnte man sich die Fußsohlen verbrühen. Doch wie auf einer Luftmatratze liege ich auf dem Wasser, genieße die unwirklich scheinende Szenerie: Spiegelglattes Wasser, Palmen und eine riesige Düne, die den See fast zuzuschütten droht. Allein schon für diesen Ausflug hätte sich die 18-tägige Jeep- und Kameltour durch Libyens Wüste gelohnt.

Rund 20 bis 30 solcher Gewässer gäbe es im Gebiet der Mandara-Seen zu entdecken, doch leider muss unsere fünfköpfige Gruppe nach zwei Stunden weiterziehen. Mit den beiden Geländewagen fahren wir zum Erg Murzuq, einem riesigem Dünengebiet von etwa 60 000 Quadratkilometern Ausdehnung.

Völlig außer Atem falle ich auf den Gipfelkamm der höchsten Düne: Über 100 Meter tiefer liegt die Wüste mit unserem zünftigen Zeltlager, mit der untergehenden Sonne nahe am Horizont und der weiten Sandebene. Minutenschnell ändern sich die Farben des rötlichen Sandes und die Länge der Schatten, die der Wüste für unsere Augen erst die räumliche Dimension geben.

Urlandschaft im Mondlicht

Tagelang könnte man hier sitzen, würde nicht die untergehende Sonne sämtliche Wärme gleich mit sich ziehen. Sofort wird es kühl - der Wind bläst ohnehin ständig - , so dass es mich die Dünen hinunter zum Abendessen treibt. Währenddessen steigt hinter dem Gipfel der Vollmond hoch, strahlend gelb wie in Kinderbüchern, und in seinem Schein wirkt jetzt die Sandwelt wie ausgewechselt - eine kalte, abweisende Urlandschaft.

Stundenlang zuckeln unsere beiden Geländewagen am nächsten Tag über eine schwarze Geröllwüste, eine klassische Hamada. Es geht zu den bis zu 9000 Jahre alten Felsgravuren der Garamanten im Wadi Mathendous. Am späten Vormittag erreichen wir das mit üppigen Akazien bewachsene, trockene Flusstal: Wie in einer Galerie präsentieren sich entlang der Sonnenseite eines Felsens die jahrtausendealten Meisterwerke. Sie zeigen Tiere, die heute in dieser Region völlig undenkbar sind - Krokodile, Elefanten, Giraffen - , aber auch Bogenschützen und rätselhafte maskierte Männer.

Mitten in einer unwirtlichen, schwarzen Steinlandschaft muss man viel Phantasie aufbieten, um sich vorzustellen, dass dieses Gebiet einst von Mensch und Tier dicht besiedelt war und selbst den klassischen afrikanischen Großtieren Nahrung und Wasser geliefert haben soll. Die Gravuren und Felszeichnungen aus ganz unterschiedlicher Epochen - je jünger sie sind, desto primitiver wirken sie - bestimmen das Besichtigungsprogramm der nächsten 48 Stunden. Abgerundet werden die Eindrücke durch klassische Dünenlandschaften und unzählige Wadis, ausgetrocknete Flussläufe. Dann erreichen wir das atemberaubende Akakus-Gebirge mit erodierenden Felsen, bizarren Skulpturen und von Wind und Wetter geschliffenen Figuren.

Für die nächsten fünf Tage tauschen wir die zwei Geländewagen gegen neun Kamele ein - sechs für Gepäck, Wasser und Proviant, drei zum Reiten. Etwas unsicher beäugen wir die neuen Gefährten, aber auch sie müssen sich erst an uns gewöhnen. Daher wandern wir am ersten Tag unserer Meharée, der Kameltour, nur neben den Tieren her. Erst am nächsten Tag dürfen wir auf ihnen reiten.

Wer draußen schläft, für den erübrigt sich das abendliche Zeltaufbauen - und das bedeutet mehr Zeit, die Abendstimmung zu genießen. Nachts erleben wir das wunderbare Gefühl, mitten in der Wüste unter klarem Sternenhimmel zu schlafen. Ein Stadtmensch entwickelt endlich wieder ein Gespür für die Natur, und seien es nur solch banale Dinge wie der Lauf von Sonne, Mond und Sternen. In den frühen Morgenstunden jedoch, wenn der Wind aufkommt, weicht die Romantik der Kälte: Es ist knapp über null Grad, und ich habe alles angezogen, was das Gepäck hergibt, da mein acht Jahre alter Daunenschlafsack es offenbar nicht mehr schafft, mich zu wärmen. Von nun an sollen aber die Nächte weniger kalt werden, verspricht Sylvia, die deutsche Reiseleiterin von Suntours.

Die täglichen Kameltouren sind überschaubar: Vormittags drei Stunden, nach dem Mittagsschlaf abermals gute zwei Stunden; eine Etappe wird jeweils geritten. Insgesamt kommen wir pro Tag etwa 15 Kilometer voran, obwohl es uns wesentlich mehr erscheint, doch die vielen Windungen und Steigungen täuschen. Spätestens jetzt verabschiedet sich jeder von dem Wüstenklischee, die Sahara sei ein einziges großes Sandmeer. Denn dies stimmt nur zu 20 Prozent. Der Rest umfasst Mondlandschaften, Geröll, schwarzes und rotes Gestein, Felsen, Gebirge oder trockene Flussbetten mit üppigen Akazien. Hinter jeder Ecke wartet eine neue Welt.

«Wunderpflanze» im Wüstensand

Überall finden wir in der Wüste Feuerholz. In den vielen trockenen Flussbetten, aber selbst in den Sandgebieten, gibt es unzählige abgestorbene Akazien, vertrocknete Tamarisken und reichlich Gestrüpp für das abendliche Lagerfeuer. In Sekundenschnelle fangen die knochentrockenen Äste Feuer. Sofort setzen unsere Leute Teewasser auf, später wird Suppe gekocht, Gemüse gegart, Abwaschwasser erwärmt oder die Glut zum Brotbacken benutzt. Auch unsere Hammelsteaks werden dort gegrillt, und die verglimmende Glut bringt selbst das Wasser, mit dem sich die Tuaregs den Allerwertesten abwaschen, auf eine komfortable Temperatur.

Am nächsten Morgen macht Mohammed eine Vollbremsung im Wüstensand, sein Kollege Salah ist schon aus seinem Jeep gesprungen. Wie eingegrabene Hörner eines Stiers recken sich vor uns zwei fast kinderarmdicke, helle Strünke aus dem Boden.

Takarzoualt heißt in der Tuaregsprache das Objekt der Begierde. Sofort fangen unsere beiden Fahrer an, die Pflanze auszugraben. Nach einem halben Meter zeichnen sich mehr und mehr die phallischen Konturen des Gewächses ab, das bei den Tuaregs weniger wegen ihres Nährwerts als wegen der angeblich potenzsteigernden Wirkung beliebt ist. Doch zunächst erfordert das Ernten der Pflanze die ganze Manneskraft: Kniend schaufeln sie mit den bloßen Händen das Erdreich zur Seite, denn das Gewächs wurzelt fast einen Meter tief.

Abends am Lagerfeuer schiebt Goni die zurecht geschnittenen Stücke in die Glut, zwanzig Minuten später verteilt er unter seinen Männern und uns die geröstete Untergrundpflanze. Dass auch die mitreisenden Frauen etwas bekommen, erregt den Hilfskoch Mohammed: «Das ist nichts für dich, davon wirst du krank», zischt er Bärbel an. Doch alle wollen wissen, wie es schmeckt. Neugierig beißen wir hinein und fällen ein niederschmetterndes Urteil: Am ehesten vergleichbar mit holzigem, faulen Spargel. Aber wenn es hilft - Goni, Mohammed, Salah und die anderen sammeln am nächsten Morgen fleißig weiter.


Dieser Bericht ist zuerst in der Berliner Morgenpost vom 2. Juli 2000 erschienen.