Keine Everglades

6. August 2015. Gleich am folgenden Tag haben wir uns die nächste Tour vorgenommen, ähnlich lang, Steffen meint sogar, „länger!“ Heute wollen wir nach Westen über den Möserschen See, Plauer See, Wendsee zum Großen Wusterwitzer See. Kurz vorm Ziel, in einem Kanal, sollen die sogenannten Everglades liegen. Ich bin skeptisch, denn laut Karte ist es kein großes Gebiet und schön, malerisch, pittoresk, grandios, ja wie in verwunschenen Nebenarmen des Amazonas sieht es überall in Branden- und Mecklenburg aus. Ich sage sogar: Am Amazonas (also im Hinterland, nicht am Hauptstrom) oder in den Everglades sieht es aus wie bei uns. Nur, dass bei uns Piranhas, giftige Schlangen, Malariamücken, Krokodile und im Falle der Everglades Alligatoren fehlen. 5:0 für Deutschland (zum 7:1 hat es nicht gereicht). Warum also soll ausgerechnet in einem kleinen Kanal zwischen Wend- und Großem Wusterwitzer See im Schatten des einstigen Industrieortes Kirchmöser die besonders urige Wildnis ausbrechen?

Als wäre dies nicht Ansporn genug, hat ein Zeltnachbar den Großen Wusterwitzer See am Ende unseres heutigen Trips als herausragend sauber bezeichnet.

Wie immer genießen wir den meditativen „Ohhhhh-Effekt“ beim Abstoßen, gleich darauf paddeln wir los. Neben unserem Wow-Gefühl, zumal es wieder wolkenlos ist und für heute 37 Grad angesagt sind, spüre ich aber auch die 22 Kilometer von gestern in meinen Oberarmen. Ob das eine gute Idee war, ohne Ruhetag heute gleich wieder auf große Fahrt zu gehen? Wir heißen ja nicht Birgitt Fischer, Rekordolympiasiegerin im Kanu, die gleich nordöstlich von Brandenburg, am Beetzsee, ihr Trainingsrevier hatte.

Die Sonne, der Blick über den glitzernden See zum grünen Uferband und der Fahrtwind zerstreuen aber alle Gedanken an Muskelkater und die heftige Distanz. Zügig entfernen wir uns vom Ufer.

Heute wollen wir auch endlich in Erfahrung bringen, wie schnell wir paddeln und wie weit wir genau fahren. Als wären wir blutige Anfänger, haben wir uns erst jetzt eine einschlägige App heruntergeladen, die uns mehr Antworten gibt, als wir Fragen haben. Steffen hat den Trail Tracker“ scharf gemacht und verfolgt in Echtzeit unser Fortkommen. Also müssen wir einen hohen Schlag einlegen! Rasch umfahren wir die Südspitze des Kiehnwerders zum Möserschen See. Dort geht es gerade auf die zwei Kilometer entfernte Landzunge Wusterau zu, die sich nordöstlich von Kirchmöser in den See spießt. In deren Mitte, sonst müsste man sie kräftezehrend umfahren, befindet sich eine Durchfahrt nur für Kanus, „schwer erkennbar“ sagt Kartenautor Jübermann, dessen Tourenatlas wir nun schon den zweiten Tag zu schätzen wissen. „Schwer erkennbar“, das sind wir gewohnt, so ist es mit den meisten Durchgängen, Ausgängen und Eingängen, die entweder vom Schilf zugewachsen sind oder nur sichtbar sind, wenn man im richtigen Winkel hineinschaut. Was hat es also zu bedeuten, wenn dieser Allgemeinplatz ausdrücklich auf der Karte vermerkt ist?