Die Taxifahrt bezahlen, den Großeinkauf im Supermarkt begleichen oder für das Essen im Restaurant löhnen – kaum jemand zückt da in Kenia sein Portemonnaie mit Bargeld oder Kreditkarte. Stattdessen holt man etwas anderes aus der Hosentasche: sein Handy. Ob beim Arzt, beim Lieferdienst an der Wohnungstür oder beim Tanken – fast immer wird der Bezahlvorgang mit dem Telefon vorgenommen. Der Name der Lösung: M-Pesa, eine genial-simple Innovation aus Kenia, die seit seiner Einführung zum Exportschlager avanciert ist und inzwischen in neun Ländern läuft.

Auch bei Ausgaben wie Strom, Miete oder dem Monatsbetrag fürs Internet fließt in Kenia kein Geld per Überweisung, Lastschriftverfahren oder Dauerauftrag – alles Dinge, die im finanziellen Alltagsleben nahezu unbekannt sind –, sondern per M-Pesa. Ähnliche Bezahlanwendungen per Mobiltelefon wurden  in Deutschland erst um 2017 offeriert und haben sich nie richtig durchgesetzt. In Kenia dagegen kann man seit 2007 – also weit vor der Erfindung des Smartphones und von Apps – mit M-Pesa Geld von Handy zu Handy schicken und auch am Parkautomaten oder in der Kneipe bezahlen.

Nahezu jeder Kenianer verfügt über ein M-Pesa-Konto, wobei pesa Kisuaheli ist und „Geld“ bedeutet und „M“ für „mobile“ steht. Entscheidend bei dem Dienst ist, und das trifft vor allem den Nerv der Leute: Man benötigt dafür kein Bankkonto. Ja, gerade weil viele Kenianer über kein Konto verfügen oder in ländlichen Regionen weit ab von der nächsten Bank leben, ist M-Pesa solch ein Erfolg.

Bizarre Symbiose: Archaische Bargeldeinzahlung und digitale Super-App

Dabei diente M-Pesa anfangs ausschließlich dazu, Geld von Privatperson zu Privatperson zu senden, also Geld nach Hause oder an andere Verwandtschaft zu schicken. Heute ist es DAS kommerzielle Bezahlsystem in Kenia. Anbieter ist der größte kenianische Mobilfunkanbieter Safaricom, der dieses Prinzip zusammen mit dem wichtigsten Gesellschafter Vodacom/Vodafone entwickelt hat. Dabei nutzte M-Pesa, so wie jedes gute Produkt/Dienstleistung, gezielt eine Marktlücke: Rascher, unkomplizierter Geldtransfer, wo andernfalls mangels Konto das Geld nur physisch heimgeschickt werden konnte.

Wie aber kommt das Geld aufs Handy? Kern der Dienstleistung waren vor der Verbreitung von Smartphones und Internet – und sind es heute noch, aber nicht mehr ausschließlich – Zehntausende von „Agenten“. Es sind oft Kioskbesitzer, Betreiber von Läden, aber auch Kneipen oder Apotheken, bei denen man das Geld einzahlt, es daraufhin auf das M-Pesa-Konto geschickt bekommt – und man es dann an den Empfänger sendet. So einfach wie eine SMS, völlig ohne App. Handelt es sich bei dem Adressaten um eine Privatperson, die das Geld braucht, geht sie daraufhin zu einem anderen lokalen Agenten und lässt sich das Geld auszahlen. So lief es früher, und teilweise noch heute. Doch da M-Pesa längst auf die Bezahlung sämtlicher Produkte und Dienstleistungen ausgeweitet wurde, wird das Geld seltener ausgezahlt. Denn cash braucht man ja nicht mehr, um seine Rechnungen zu begleichen.

Heute kann man sein Geld auch vom Bankkonto, mittels Apps oder Gelddienstleistern wie etwa Wise oder Moneygram auf sein M-Pesa-Konto transferieren. Doch die Agenten sind nach wie vor die Stütze des Systems. Denn die meisten Leute verfügen über kein Konto. Archaische Bargeldeinzahlung und eine digitale Finanzanwendung gehen hier eine bizarre Verbindung ein.

Zahlt man Bargeld auf sein M-Pesa-Konto ein, etwa in einem Dorfladen, muss man sich mit der ID-Karte oder als Ausländer mit dem Reisepass ausweisen. Oft wird eine dicke Kladde hervorgeholt, in der der Name, Ausweis- oder Passnummer und der einzuzahlende Betrag eingetragen wird. Dann muss man unterschreiben, worauf die Ladenbesitzerin mit ihrem Handy das Geld an die ihr zugerufene Telefonnummer überweist. Medienbruchfrei und vollständig Hightech ist das System also nicht. Doch sind die Kenianischen Schilling erst einmal auf dem Telefon, können sie so simpel verteilt werden wie eine Kurznachricht. Die Erfindung wird zurecht gefeiert.

Die Gebühren

All dies ist natürlich nicht kostenlos, im Gegenteil. Transfer und Auszahlung gehen ins Geld, während die Einzahlung beim Agenten kostenlos ist. Die Gebühren sind nicht gerade niedrig – aber mangels Alternativen und Bankkonten ist es die beste Möglichkeit. Gerade für kleine Beträge – etwa für eine kurze Taxifahrt – lohnt sich der Dienst rein rechnerisch gesehen gegenüber Bargeld nicht. Noch vor wenigen Jahren konnte es durchaus ein Viertel des transferierten Betrags ausmachen, und Taxifahrer haben die Gebühr für das Abheben dem Fahrgast draufschlagen. Heute ist M-Pesa Standard und die Fahrer haben ohnehin fast nie Wechselgeld.

Kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 senkte Safaricom denn auch die Transfergebühren, ja der Versand von 100 Kenianischen Schilling, etwa für eine kurze Motorradtaxifahrt, ist sogar kostenlos. 150 KES schlagen indes mit 6 KES Gebühren zu Buche, also mehr als vier Prozent. Bei hunderten Kleckerbeträgen läppert sich das. Allerdings sind die prozentuellen Gebühren nur bei Kleinstbeträgen so hoch. Überweist man beispielsweise 13.500 KES, zahlt man nur 112 KES, also 0,8 Prozent.

Die Gebühren liegen, abhängig vom Empfänger und vom Betrag der Transaktion, zwischen 0 Prozent bis zu 45 Prozent für einen Transfer zu einem nicht registrierten Benutzer – Letzteres ein sehr unrealistischer Fall für einen Transfer von nur 100 KES – sowie zwischen 0 Prozent und 6 Prozent für einen Transfer zu einem registrierten Benutzer.

Die Hauptfunktion heute: kommerzielle Anwendungen

Begleicht man jedoch seine Rechnung bei kommerziellen Angelegenheiten – inzwischen die weitaus wichtigere Funktion gegenüber dem privaten Geldtransfer –, also bezahlt Unternehmen, wie den Energieversorger Kenya Power, für den Internetanschluss, im Café oder beim Onlinekauf einer Kinokarte, berappt man für den Transfer oft nichts (aber natürlich indirekt über den Preis der Dienstleistung oder des Produkts). Diese Funktion nennt sich Lipa na M-Pesa, wobei lipa bezahlen heißt. Hierfür gibt es zwei Bezahlwege: „Buy Goods and Services“, die kostenlose Variante, oder mit Gebühren per „Pay Bill“. Welche, das entscheidet der Anbieter.

Wie alles entstand

Ein Erfolgsfaktor für M-Pesa war und ist die weite Verbreitung von Mobiltelefonen. Ein nennenswertes Telefonfestnetz fehlt in vielen Ländern wie Kenia bis heute. Es wäre viel zu teuer und würde Investitionen erfordern, deren ökonomischer Nutzen angesichts des Siegeszugs des Mobilfunks in den Sternen steht. Und so wurde in Kenia und anderswo die Festnetzstufe beim Telefonieren genauso übersprungen wie der Besitz eines Kontos und einer Bankkarte.

M-Pesa startete zunächst in Kenia, wurde dann im Nachbarland Tansania ausgebaut und hat Millionen Menschen ohne Zugang zum Banksystem im Handumdrehen mit einer Möglichkeit versehen, Geld zu erhalten und zu verschicken – und gleichzeitig Zehntausende von Händlern zu Bankangestellten gemacht, die durch die kleinen Gebühren ihr Auskommen haben und die Menschen rasch mit Bargeld versorgen.

Bereits 2010 war M-Pesa die erfolgreichste mobilbasierte Finanzierungsdienstleistung in Entwicklungsländern – und ist bis heute das größte Fintech Afrikas. Telekomgesellschaften aus der ganzen Welt haben sich das triviale System angesehen, das inzwischen einen großen Wirtschaftsfaktor und für Safaricom und seine Gesellschafter auch Goldesel darstellt. Durchgesetzt hat sich dieses System aber nur in Ländern, wo Bankkonten fehlen oder Geld besonders schnell überwiesen werden muss.

Interessant ist, wie das System entstanden ist: Anders als bei uns telefonieren Kenianer fast ausschließlich mittels Guthaben-Karten. Dieses Prepaid-System ist zwar auch bei uns geläufig, allerdings nicht so dominant. Telefonguthaben wird dabei bekanntlich mit einem PIN-Code auf das Handy geladen, das damit einen Geldwert darstellt. Statt den Zahlenschlüssel einzugeben, kann ein Nutzer diesen jedoch genauso gut an seine Verwandten schicken, die damit, sagen wir mal, 15 Euro erhalten. Diese informelle Zahlungsmöglichkeit wurde in Kenia schließlich so ausgiebig genutzt, dass es Telekommunikations-Experten auffiel und man auf die Idee kam, ihren Gebrauch über das reine Telefonguthaben hinaus auszuweiten. Aus einer informellen Tauschbörse entstand so ein Milliardenmarkt für Geldtransfer. Praktischer Nebeneffekt: Der Transport von Geld entfiel – und die Überfälle auf Werttransporte gingen merklich zurück.

Volkswirtschaftlich gesehen ist das Erfolgsgeheimnis von M-Pesa also auf chronische Missstände zurückzuführen: dem Fehlen eines Telefon-Festnetzes, von Geldautomaten und Banken in der Provinz oder gar im Busch, aber auch dem relativ niedrigen Bildungsstand, der es vor allem Landbewohnern schwer machte, mit einem Bankkonto umzugehen. Letzteres wird von Insidern sogar als Hauptgrund für den Erfolg angesehen, findet sich aber nicht in wissenschaftlichen Analysen. SMS verschicken, das kann aber jeder, und zwar überall.

Im zweiten Teil: M-Pesa als Wirtschaftsfaktor und Exportschlager

Fotos: Philip Mostert; www.pmphoto.co.za