Wasser, das bergauf fließt? Gibt es. Angeblich. Und das gleich in drei Dutzend Ländern, in Deutschland etwa an einer hessischen Landstraße zwischen Butzbach und Hausen-Oes. Verantwortlich für dieses Phänomen sollen die so genannten Magnetberge sein. Doch wie das genau funktioniert, darüber wird im Internet von wissenschaftlich bis verschwörungstheoretisch ausgiebig diskutiert, auf Deutsch unter dem Begriff „Anti-Gravität“. Frank, ein Freund von mir, und ich wollen uns persönlich von solch einer Naturerscheinung überzeugen. Denn seit wann ist Wasser magnetisch?

An einem schönen Sonntagmittag fahren wir zwar nicht nach Butzbach, dafür aber ins Machakos County, anderthalb Stunden südlich der kenianischen Metropole Nairobi gelegen. Kurz hinter der gleichnamigen County-Hauptstadt führt die Straße den Kituluni Hill hinauf. Großartig! Ein Berg ist eine gute Voraussetzung für diese Art von Feldversuch, der auch auf Youtube vielfältig zu bestaunen ist: Als sollte die Ice Bucket Challenge neu aufgelegt werden, wird dort literweise Wasser an allen möglichen Magnetbergen weltweit auf glatten Asphalt gekippt – das sodann erstaunlicherweise seinen Weg nach oben findet. So ein Wunder wollen wir uns auf keinen Fall entgehen lassen, wenn wir gerade in der Nähe sind. Vor der Abfahrt füllen wir im Hotel extra einige leere Flaschen mit fotogenem Wasser ab. Schließlich müssen wasserdichte empirische Belege mehrmals wiederholt werden. Zur Not haben wir noch eine Ladung frischer Flaschen im Kofferraum, angesichts der Hitze eigentlich als Erfrischung gedacht. Ungemein praktisch für den Videobeweis ist auch, dass der Magnetberg direkt an der Machakos-Kangundo-Road liegt. Denn das Wasser darf ja nicht irgendwo im Sandboden oder Gras versickern und sich unterirdisch nach oben arbeiten. Idealerweise läuft es in den Internetfilmen glatt und sichtbar aufwärts.

Der Schock: Unser Ausflugsziel ist eine Baustelle.

Hoffentlich findet unser Fahrer den Weg. Doch solch eine Attraktion kann man wegen eines anderen Naturgesetzes nicht verfehlen: Ein Ort dieser Art zieht lokale Touristenführer, die auf diese Weise ihre Brötchen verdienen wollen, magnetisch an. Präzise wie eine Kompassnadel zeigt uns der Pulk hilfreicher Geister am Straßenrand an, dass wir hier richtig sind.

Trotzdem müssen wir uns erst einmal orientieren. Die Hitze erschlägt uns, kaum als wir aus dem Auto gestiegen sind. Vor allem aber nimmt uns der Lärm von Baumaschinen mit – die ausgerechnet heute die Straße erneuern. An einem Sonntag. Genau hier. Und an keiner weiteren Stelle. Es wäre auch nicht so schlimm, wenn nur aus dem glatten Asphalt wieder glatter Asphalt geworden wäre. Die neue Variante ist aber aufgeraut. Obendrein wird die noch dampfende Fläche in diesem Moment mit Splitt abgestreut. Vor unseren Augen drückt eine Walze ihn in die heiße Unterlage. Und da nicht alle Körner haften bleiben, entsteht Rollsplitt – der daraufhin das Objekt unserer Begierde bedeckt. Wie aber sollen wir nun den Videobeleg aufnehmen, wenn sich das Wasser in kleinen Steinchen verteilt?

Erst einmal müssen wir jedoch warten. Noch wird gebaut und geteert – oder besser gesagt: es wird eine Attraktion kaputtgemacht und eine sprudelnde Einnahmequelle der Guides. Die Radwalze rumpelt hin und her. Einer der freundlichen Helfer kümmert sich trotzdem sofort um uns, weitere gesellen sich hinzu. Alle wollen uns mit ihren prall gefüllten Wasserflaschen das Kuriosum verdeutlichen. Aus unserer Sicht besteht deren Hauptfunktion lediglich darin, uns anzuzeigen, dass wir hier richtig sind. Dennoch schnappen wir uns einen, der Junge soll nicht umsonst auf Schaulustige gewartet haben. Die Baumaschinen entfernen sich bald. Ein Arbeiter gibt den Weg für Autos, Guides und uns frei.

Wir erleben tatsächlich ein Wunder

Als wäre es eine Taufe, benetzen die Vorführer den jungfräulichen Rollsplitt gleich mit einer Flaschenladung Wasser. Und es fließt – bergauf. Langsam und durchaus mit einer kleinen Verzögerung, aber stetig und eindeutig. Wir stehen kurz hinter eine Kurve, am Ende der Straße ist eine Zweite. Also ein schönes langes „S“ wird hier beschrieben, und wir sind uns alle einig, dass die Fahrbahn emporführt. Ich habe keinen Zweifel an der Qualität und vor allem Neutralität des Vor-Ort-Wassers der Guides. Trotzdem kommt jetzt eine unserer Flaschen dran. Kamera raus, auf Video geschaltet, Fotos nutzen hier natürlich nichts – und auch unser Wasser findet seinen Weg nach oben. Dumm ist wirklich nur, dass alles nicht annähernd so elegant aussieht wie auf einer glatten Oberfläche. Aber das lässt sich nicht mehr ändern, auch wenn wir fassungslos der sonntäglichen Bautätigkeit gegenüberstehen, die an Tausend anderen Stellen Kenias dringlicher gewesen wäre, als ausgerechnet an einer längst asphaltierten Straße.

Wie kann das sein? Wasser, das den Berg rauffließt? Deutlich hat es diese Richtung genommen, auch wenn wir es im Physikunterricht anders gelernt haben. Zweifel haben wir am Gesehenen nicht, Erklärungen aber ebenso wenig. Trotzdem möchten wir für die Videos, zur Vergewisserung und auch als Event noch ein paar Flaschen leeren. 

Immer wieder derselbe herrliche Effekt. Langsam bahnt sich das Wasser seinen Weg durch den frischen kieseligen Untergrund aufwärts. Die Guides wollen bei der Beweisführung einen draufsetzen, indem sie sich ans Steuer eines Autos setzen, den Gang herausnehmen, demonstrativ die Füße vom Gas heben – und es trotz alledem nach oben rollt. Verrückt! Bis ich sehe, dass hinten jemand schiebt.

Von Steigung keine Spur. Touristinnen bestaunen den vermeintlichen Magnetberg – stehen aber selbst ziemlich gerade.

Nun schauen wir noch ungläubiger die Steigung hinauf, bücken uns, peilen den Endpunkt der Straße an, die in einer weiteren Kurve den Berg erklimmt. Gleichzeitig jedoch kriecht in uns die Idee hoch, dass es hilfreich wäre, eine Wasserwaage zur Hand zu haben. Dafür würden wir den Touristenführern in jedem Fall ein ordentliches Bakschisch zahlen. Aber sie haben solch ein Gerät nicht dabei. Womöglich auch, weil sie sich ihre Attraktion nicht kaputtmachen wollen. Plötzlich kommt Frank ein Geistesblitz. Schließlich ist er Ingenieur, sogar Bauingenieur. Eine halbvolle Wasserflasche längs auf die Straße gelegt, erfüllt nämlich denselben Zweck wie eine Wasserwaage. Geht hier alles mit rechten Dingen zu, müsste an dem Flaschenende, das nach unten zeigt, mehr Wasser stehen. Schnell reißen wir das Etikett von der Flasche und schütten die Hälfte als erneuten Beweis auf der Fahrbahn aus – während die verbliebene Hälfte den Gegenbeweis antritt.

Ob hier alles mit rechten Dingen zugeht?

Dort, wo sich mehr Wasser sammelt, ist nämlich oben. Also „oben“ von unserem Eindruck her, von der Optik, vom Straßenverlauf und von der Legende, die hier erzählt wird. Doch da sich das Wasser eben oben staut, ganz leicht nur, ist dort offenbar in der Realität „unten“. Kein Mysterium also, dass dahin auch das Wasser fließt.

Der Test: Unsere improvisierte Wasserwaage macht aus einer Steigung eine Delle.

Wir sind trotz unserer Zickzack-Gedankengänge wieder ganz gut sortiert: Die Straße, obwohl es so klar ist, führt eben nicht nach oben. Vielmehr findet die Vorführung genau an einer Stelle statt, die eine unscheinbare Delle hat. Zumindest ist es unsere Erklärung, während sich die Einheimischen fragen, was wir mit unserer eigentümlichen Apparatur machen? Wir verkünden das Ergebnis unserer Recherchen, passen aber auf, dass es die anderen Touristen nicht hören. Gleichzeitig meint Franks Freundin, dass es ja kein Wunder ist, wenn vorne an der Flaschenöffnung das Wasser steht. Schließlich sei der Verschluss noch drauf … Gut, sie ist auch nur Englischlehrerin.

Kurz kommt der Einwand in mir hoch, dass die Wasserlinie in der Flasche nicht ohne Grund so schief nach oben zeigt, da dies eben dieser „magnetische Effekt“ ist und damit gerade die Lesart der Anhänger der Theorie bestätigt. Doch ein späterer Blick auf die englische Wikipediaseite (eine deutschsprachige Version gibt es für diesen Begriff nicht), bestärkt unsere gewonnenen Erkenntnisse. Die ganze Angelegenheit beruhe nämlich auf einer optischen Täuschung, bei der eine kleine Senke als Steigung erscheint. Verantwortlich dafür seien das „Layout“ der Landschaft und vor allem das Fehlen eines Horizonts als Bezugspunkt. 

Der Vergleich: So sieht auf flacher Oberfläche die Wasserlinie aus.

Spaß hat es aber in jedem Fall gemacht. Vielleicht könnte man hier eine Ausflugsstation für Schulklassen mit ihrem Physiklehrer einrichten, bei dem auch die Englischlehrer mitgenommen werden. Die Guides scheinen bereits für solch einen Anschauungsunterricht zu üben, wie wir bei der Abfahrt sehen: Mehrere Flaschen liegen unserem Vorbild gleich auf der Straße, an denen ungeschulte Augen nun Maß nehmen. Die Vorführer könnten so ihren Trinkgeldjob auch dann behalten, sollte sich der Schmu herumsprechen. In jedem Fall empfehlen wir aber der County-Regierung, schnellstens den Bautrupp zurückzubeordern, um zumindest an dieser Stelle – und damit es nicht ganz so auffällt, entlang der gesamten S-Kurve –, wieder einen schönen glatten Grund zu planieren. Es muss ja nicht unbedingt an einem Sonntag sein.

Nicht zu fassen! Mein Taxifahrer eine Woche später hatte tatsächlich eine Wasserwaage am Armaturenbrett (über dem Bildschirm).