16. August 2015, Schermützelsee und Weißer See (Buckow/Märkische Schweiz). Wenn Buckow die Perle der Märkischen Schweiz ist, so die Eigenwerbung der Stadt, dann ist der geschwungene Schermützelsee ihre kostbare Einfassung – oder selbst ein Juwel: Türkisfarben schimmert er in der Sonne, das Wasser ist außergewöhnlich klar. Warum nennt das Tourismusbüro die Seenlandschaft nicht gleich Märkische Karibik – mit dem Schermützelsee als ihren Diamanten?

Der Schermützelsee.
Der Schermützelsee.

Der See, der oft mit dem Scharmützelsee in Bad Saarow verwechselt wird, geht sagenhafte 45 Meter in die Tiefe. An seiner Oberfläche hat er aber nur eine überschaubare Größe. Rein kanumäßig gesehen, ist er lediglich mit dem Weißen See verbunden – auf den ich mich besonders freue. Ich wohne nämlich in Berlin-Weißensee und schon oft hat es mich in den Fingern gejuckt, auf dem Gewässer, das dem Ortsteil seinen Namen gab, einmal meine Runden zu drehen. Doch er ist so klein, dass sich das Bootaufbauen nur für meine persönliche Statistik lohnen würde. Höchstens einen Ausflugskahn werde ich mir dort eines Tages ausleihen. Heute zumindest kann ich den Brandenburger Weißen See auf meine Paddel-Liste setzen.

Mike, ein Freund von mir, wohnt in Buckow und hat seinen Kanadier bei Bekannten an einem Seegrundstück deponiert. Wir müssen es nur umdrehen, von den Böcken nehmen und 50 Meter zum Wasser tragen. Ich fahre zum ersten Mal in einem Kanadier. Weil man höher sitzt, ist es wackliger als Kajaks, die ich seit 20 Jahren nutze. Ich muss viel mehr aufpassen, in der Mitte zu sitzen, um die Balance zu halten.

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Von links wabert das heitere Getöse der Badestelle herüber. Zusätzlich konkurrieren zwei Musikrichtungen über die Lärmhoheit am See: Gestern und heute ist Fischerfest, also gibt es Bratwurststände und eine Partyband im Bierzelt. Im Seelokal daneben, das einem Iren gehört, kämpft irische Folkmusik dagegen an. Vergebens, auf dem Wasser hören wir nur die Diskobässe. In der Mitte der ersten Seehälfte schwimmt noch immer die Plattform, von der aus am Vorabend das Feuerwerk gestartet wurde. Sie wird bald abgebaut, bis dahin ist sie Sonnenbank und Sprungbrett.

Die Perle hat zwei Kratzer

Das war früher ein FDGB-Ferienheim.
Das war früher ein FDGB-Ferienheim.

Unser Blickt schweift von Ufer zu Ufer. Wollte ich ein Haus kaufen, die Wahl fiele schwer. Eine Villa in der Stadt mit bester Wasserlage? Oder ein Landhaus oben auf dem Kamm des Berges, der Bollersdorfer Höhe? Von dort aus ist der Blick spektakulär, allerdings muss man dann sagen „Ich komm’ aus Bollersdorf.“ Wer als Projektentwickler einsteigen möchte, kann gleich zwei DDR-Altlasten in der Nähe unseres Startpunkts sanieren. Direkt am Seeufer wartet in zentralster Lage ein graues Haus auf seine Wiedererweckung, etwa als Hotel. Doch die Naturparkverwaltung hat erst jüngst einen Investor vergrault, der tatsächlich einen Steg im See haben wollte. Das fanden die Naturschützer nicht gut, der Entwickler zog sich zurück und so hat die Perle der Märkischen Schweiz weiter einen dicken Kratzer.

Sozialistischer Realismus ist durch andere Stilrichtungen ersetzt worden.
Sozialistischer Realismus ist durch andere Stilrichtungen ersetzt worden.

Auf der Anhöhe dahinter steht, nur noch als Betontorso, das ehemalige FDGB-Ferienheim. Vandalen haben den fünfstöckigen Bau in den letzten Jahrzehnten vollständig auseinandergenommen und mit Graffitis zugesprüht. Keine einzige Scheibe und kein Treppengeländer gibt es mehr. Dafür ist die Aussicht auf den See glänzend, vor allem vom Dach, wie wir uns vor der Bootsfahrt überzeugen konnten. Ein Investor hätte den Vorteil, mangels Wasserzugang bei der Naturparkverwaltung keinen Steg beantragen zu müssen. Neben einer Neunutzung als Hotel, allerdings mit Plattenbaucharme à la Märkische Sowjetunion, könnte man das Objekt auch so belassen, etwa als Kletterwand oder Übungsgelände für Spezialeinsatzkräfte. Auf dem Dach wachsen Birken und Kiefern, im Innern sogar ein Ahorn. So könnte man das Erholungsheim wieder der Natur übergeben – oder der Naturparkverwaltung als Hauquartier.

Blick vom Dach der Ruine auf den Schermützelsee.
Blick vom Dach der Ruine auf den Schermützelsee.

Wir paddeln weiter. An der Stadtseite entlang, folgen wir dem Bogen des Sees. Ein halbes Dutzend Stege ragt aus dem Schilf hervor. Die Hälfte davon hat Markisen – eine naheliegende Installation, gerade auf dem Wasser, wo kein Baum Schatten spendet. Dennoch habe ich so etwas noch nie gesehen und schon gar nicht drei auf einen Schlag. Der Blick zum Nachbarn hat schon immer zu Anregungen geführt. Oder gibt es hier einen findigen Markisenbauer?

Von einer dieser beneidenswerten Holzbrücken aus fragt uns ein Mann, wo man solche Boote ausleihen könne, wie wir eines fahren? Mike antwortet, dass es ihm gehöre. Aber wenn wir mal seine Sonnenplattform benutzen können, kann er es gerne einmal haben, schlage ich vor. Dann sind wir außer Rufweite, aber er schien nicht abgeneigt.

Huch, auch am nächsten Steg gleiten wir zu schnell vorbei. Hier aber müssen wir nochmal zurück, es ist das Brecht-Weigel-Haus. Das Autorenpaar hatte hier sein Sommerhaus, in dem auch wichtige Werke entstanden. Das Domizil ist nur durch eine schmale, durchs Schilf geschlagene Schneise zu erkennen. Ein kurzer Blick, ein Foto und weiter in die Natur!

Der Durchgang zum Weißen See ist nicht mehr weit. Doch da wir uns im rechten Winkel nähern, sehen wir ihn nicht. Oder ist er wieder zugewachsen? Mike ist sich nicht sicher. Reizvolle Ungewissheit. Schließlich weitet sich das Schilf und wir biegen in die grüne Gasse ein. Der Seerosenteppich ist ausgerollt.

Der Zugang zum Weißen See.
Der Zugang zum Weißen See.

Anders als auf Kanadiern vorgesehen, sind wir bis hierher mit doppelseitigen Rudern gepaddelt. Im dünnen Kanal müssen wir auf einseitigen Betrieb umschalten, und mir fällt erst jetzt auf, dass man diese Bootsklasse ohnehin nur mit Stechpaddeln vorantreibt.

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Nach zwei, drei Minuten erreichen wir den Weißen See, der etwas kleiner ist als sein Berliner Namensvetter. Wir möchten kurz baden, legen an und grüßen die Mittvierzigerin, die es sich mit einem Buch auf einer Bank bequem gemacht hat. Sie sieht so aus, als lausche sie heute Abend einem Brecht-Weigel-Kolloquium im nahen Museum. Eben noch war sie allein am See mit ihrer Literatur. Nun kommen wir; vom Land her ein Opa mit seinem Enkel, der sie nach dem Weg fragt; gleich darauf zwei Frauen mit zwei herumtollenden Hunden und inzwischen haben wir unsere Decke auf dem kleinen Flecken neben ihr ausgebreitet. Sie verabschiedet sich höflich.

Eine idyllische Schutthalde

Das Wasser ist wesentlich wärmer als das des Schermützelsees, aber nicht annähernd so klar. Dennoch ist die Qualität annehmbar, ich bin da sowieso unempfindlich. Zurück am Ufer bleibe ich im Wasser liegen, spiele etwas mit den Steinen, die vom Boden bedeckt werden, und ziehe plötzlich halbe Ziegel vom Grund. Früher war der See wohl eine Schutthalde, und so wundert es mich nicht, dass das nächste Objekt in meiner Hand ein alter Flaschenhals ist – in der besonders fiesen, abgebrochenen Variante, wie man sie sonst nur aus Krimis kennt. Lieber schwimme ich noch einmal auf den See hinaus. Hoffentlich kommt mir dort nicht ein ausrangierter Einkaufswagen entgegen. Trotzdem ist es ein idyllisches Plätzchen, vor allem alleine mit einem Buch auf einer Bank.

Schließlich staken wir durch den flachen Zufluss zurück und sind gleich am Endpunkt des Schermützelsees, der trotz seiner geringen Länge von gut zwei Kilometern eine veritable Flotte aufweist: Zwei Ausflugsdampfer, Scherri (Baujahr 1879) und Seeperle, und ein „Solarboot“ eines anderen Betreibers. Letzteres kann natürlich nicht mit eigener Solarenergie über den See fahren, sondern lädt nachts am Ufer seine Batterien über das Stromnetz auf. Die Energiewende funktioniert auch auf dem Wasser nicht. Ohnehin verfügen die drei Boote der alteingesessenen Reederei, es gehört noch die Barkasse Seeadler dazu, über die einzigen Verbrennungsmotoren auf dem Gewässer. Hier, von unserem Wendepunkt aus, sehen wir den glitzernden See und die Hügellandschaft in voller Pracht. All dies lohnt den Betrieb der Ausflugsschiffe, auch wenn sie sehr gemütlich fahren müssen und jede Bucht ansteuern, damit die kleine Runde nicht zu schnell absolviert ist.

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Kaum langsamer als die Scherri queren wir den See in seiner Mitte. Die Stadt kommt wieder in Sicht, und das Getümmel der Badestelle dringt erneut in unser Ohr, das zu einem sonnigen, ausgelassenen Augustsonntag dazugehört. Linkerhand zeigt sich das imposante Waisenhaus: eine mehrstöckige Hütte, als wäre es die Schwarzwaldklinik.

Wir steuern auf eine beliebte Badestelle am Nordufer zu. Vor allem die Tarzanschaukel, gefertigt aus einem robusten Feuerwehrschlauch, zieht Wagemutige und Zuschauer an. Bäume ragen schräg ins Wasser, der Seegrund fällt ohnehin steil hinab, ideal also für einen solchen Spaß, den offenbar sogar die Naturparkverwaltung erlaubt. Wir hatten schon gestern damit herumgetobt. Bis jetzt erinnert mich der leichte Muskelkater an mein Körpergewicht, das sich vervielfachte, als ich mich ins Seil schwang. Heute kann ich mich nur einmal festhalten, beim zweiten Versuch verlassen mich die Kräfte und ich plumpse vorm Hochpendeln des Seils ins Wasser. Unsere falsche Paddeltechnik fordert ihren Tribut.

Ich versuche mich auf einer Tarzanschaukel. Mehr zeige ich nicht ...
Ich versuche mich auf einer Tarzanschaukel. Mehr zeige ich nicht …

Als sei es ein Amphitheater, haben sich zwei Dutzend Badegäste auf die Äste eines Baumes gesetzt, der in den See gestürzt ist. So schwingen sie halb im 25 Grad warmen Wasser und halb in der Sonne und bestaunen ihren Helden: Der Muskelmann steigt auf einen höheren Stamm als ich, spannt seine Hände auseinander und greift den Schlauch der Länge nach. Mike ruft ihm zu, dass er es anders machen solle. Der zeigt ihm einen Vogel, stößt sich zu unserer Verblüffung zur Seite ab und fliegt in einem langen Bogen mit dem Seil gen Buckow. Am Scheitelpunkt, kurz bevor die Schlaufe wieder zum Baum schnellen würde, löst er sich und hechtet ins Wasser. So sieht ein Tarzan aus, wir müssen noch üben.

Wir trainieren unsere Muckis lieber im Endspurt auf den Heimatsteg. Der Bratwurststand beim Fischerfest ruft und natürlich ein kühles Bier. Das trinken wir auf einer herrlichen Bank, die im See steht – und damit auch unsere Beine. Ich denke beim Herumplätschern noch, das ist ja eine richtige Kneipp-Kur, um nicht den müden, bierseligen Kalauer mit der Kneipen-Kur zu bemühen. Da informiert mich ein Schild, dass die Lage der Bank kein launiger Einfall ist. Buckow ist ein anerkannter Kneipp-Kurort. Neben uns laufen an einer Stange Leute durch den See und vollführen das typische Wassertreten. Ohne Bier.