Lake Nakuru-Nationalpark, 2. Oktober 2012. Fünf Tage nach unserem tierlosen Ausflug durch die Shaba National Reserve keimt Hoffnung auf. Samuel hält unseren Jeep, lässt das Fenster herunter und tauscht sich mit seinem Kollegen aus. Offenbar hat die andere Reisegruppe gerade einen Leoparden gesehen – der auf der Wunschliste der meisten Afrikareisenden ganz oben steht. Schließlich zeigt sich die Wildkatze viel seltener als andere. Löwen gelten dagegen fast als Ladenhüter. Samuel lässt sich alles erklären. Der andere Guide wiederholt die Beschreibung mehrmals. Unterm Strich klingt es aber nicht einfach. Gut, einfach würde auch nicht zu einem Leoparden und einer spannenden Safari passen.

Wir fahren los, der Leopard soll sich in der Nähe der Landepiste in einem Wald versteckt halten. Nach fünf Minuten, inzwischen haben wir die Makalie-Wasserfälle passiert, erreichen wir den Airstrip. Parallel dazu verläuft ein Weg, auf dessen anderer Seite sich wiederum das Waldgelände befindet. Wie auf Patrouille fahren wir langsam den Sandweg entlang, mehrere Augenpaare vom Dickicht gebannt. Irgendwann aber haben wir die halbe Piste umfahren und erreichen urplötzlich einen tiefen, dicht bewachsenen Dschungel. Dieser Urwald kommt allerdings genauso unvermittelt, wie er untypisch für den Rest der Landschaft ist – so als ob auf 500 Metern ein Erlebnisparcour für Touristen errichtet worden wäre, durch die sie sich mit ihrem Jeep kämpfen müssen.

Lodge im Lake Nakuru-Nationalpark
Lodge im Lake Nakuru-Nationalpark

Das war dann wohl nichts mit dem Leoparden. Doch glücklicherweise ist der Lake-Nakuru-Nationalpark, etwa zweieinhalb Stunden nördlich Nairobis gelegen, mit vielen anderen Tieren gesegnet, auch mit den beiden afrikanischen Nashornarten (Breitmaul- und Spitzmaulnashorn), die uns permanent über den Weg laufen: allein am See, zu Dritt auf der Wiese oder mit Rhino-Baby. Vor uns ist die gesamte Zeit ein anderes Auto gefahren, wir sprechen den Guide an. Nein, sie haben nichts von einem Leoparden gehört, sind nur zufällig hier. Ein drittes Auto kommt uns entgegen. Anhalten, Plaudern, Fachsimpeln da kommt über Funk eine ausführliche Leoparden-Ansage. Sofort rasen wir los, lassen Giraffe und Büffel stehen. Am Airstrip nehmen wir einen anderen Weg, sodass wir das Waldstück nun von der anderen Seite in Augenschein nehmen. Doch wir müssen nicht lange suchen: Hinter der nächsten Kurve steht bereits ein Dutzend Geländewagen und Minibusse, aus deren offenen Dächern sich Touristen und Teleobjektive recken. Alle Blicke sind auf den Wald hinter dem breiten Grasstreifen gerichtet. Es ist ein ordentlicher Stau, und wir reihen uns hinten ein.

Die Illusion ist fort: 17 Geländewagen auf einen Schlag

Nach drei Minuten frage ich mich, wo genau denn nun der Leopard hockt? Alle anderen schauen doch wie gebannt in den Wald. „Samuel, siehst Du was?“ Es kommt wieder sein verzweifelter Hakuna-wanyama-Blick. Wir müssen warten, allerdings sind wir inzwischen auch nicht mehr die letzten in der Reihe. Von allen Seiten preschen Autos heran, bis es ganze 17 sind, während ich vorher die perfekte Illusion gehabt hatte, wir seien fast allein im Park unterwegs. Obwohl alle in dieselbe Richtung starren, herrscht offenbar vorne der beste Blick. Den anderen Reisegruppen versperren wohl Bäume die Sicht auf den Hotspot. Diejenigen, die an der Spitze sind, geben den Platz nicht frei – und selbst wenn sie wollten, könnten sie es auch nicht, denn alle Autos haben sich ineinander verkeilt. Es hilft nur noch aufwändiges und lärmiges Hin- und Herrangieren, um den Knoten aufzulösen.

Der Guide aus einem Nachbarauto erläutert nur seinen amerikanischen Gästen exklusiv, wohin sie schauen sollen. Der Führer einer chinesischen Gruppe hat dagegen Mitleid mit Samuel und erklärt ihm, was er uns erklären soll. Es ist eine komplizierte Beschreibung, die sich vor allem darum dreht, welchen Baum und welche Astgabel wir anvisieren sollen: „Also, der große Baum dahinten, mit der helleren Färbung, der zwischen den beiden …“ Genau dieser Baum wird durch einen anderen zugestellt, zumindest von unserer Position aus. Wir müssen also warten, bis wir aufrücken können.

Doch offenbar sind wir nicht die einzigen, die nichts sehen. Nach zehn Minuten haben auch die meisten anderen Touristen ihre Kameras und Ferngläser beiseitegelegt. Angestrengt schaue ich in das etwa 80 Meter entfernt liegende Dickicht. Keine Chance, schließlich hat der Leopard zum Zweck der Tarnung sein Fell. „Samuel, also noch einmal von vorne: Ist da nun ein Leopard oder keiner?“ Die Frage ist insofern berechtigt, als auch die spanischen und tschechischen Touristen um uns herum noch kein Tier gesehen haben. Auch der kühle Guide aus dem Auto vor uns nicht, wie sich plötzlich herausstellt. Samuel erzählt nun etwas von „heute Morgen“. Was, wir suchen jetzt um 17 Uhr einen Leoparden, der hier am Morgen gesichtet wurde?

Ein lebendes Suchbild

Plötzlich kommt Bewegung in die Menge, aber nicht weil der Leopard vom Baum klettert, vorne sind ein paar Autos abgefahren. Haben die Insassen genug oder etwa gar nichts gesehen? Egal, wir können jetzt aufrücken. Nun erfassen wir den Baum mit der markanten helleren Färbung, der allerdings etwas eingerückt im Wald und somit voll im Schatten steht. Ich sehe jedenfalls nichts. Konzentriert schaue ich – ohne Erfolg, auch die anderen drücken nicht gerade oft auf ihre Kameraauslöser. Ich nehme mir Samuels Fernglas: Wirres Flimmern, ich drehe an den Rädern, Scharfstellen, wo war jetzt nochmal der Baum? Ich entschließe mich, kurzerhand mit meiner Kamera ein Gesamtbild vom Wald zu machen und mir dann später auf dem Computerbildschirm den Ausschnitt des Fotos mit dem Baum und der Astgabel heranzuzoomen.

Finde den Leoparden!
Finde den Leoparden!

Wir fahren ab, inzwischen dämmert es – und zehn Minuten später staut sich auf einem engen Damm in einem Sumpfgebiet derselbe Konvoi. Nicht schon wieder kein Leopard! Eine Inderin aus einem Nachbarauto fragt mich: „Haben Sie den Löwen gesehen?“

„Meinen Sie den da?“, frage ich zurück und zeige mit dem Finger in die entsprechende Richtung.

„Nein, das ist ein umgekippter Baum“, sagt ihr Mann. „Sieht aber aus wie ein Löwe! Hier, auf dem anderen Baum.“

„Dort“, assistiert die Frau, „haben Sie den Schwanz gesehen?“

„Achso, Danke, aber ich habe bereits so viele komplette Löwen gesehen, da brauche ich doch keinen Schwanz“, sage ich scherzhaft. Wir fahren weiter.

Später dann, in der Lodge, schaue ich mir das Leoparden-Dickicht-Suchbild im Zoom genauer an. Und tatsächlich, es gelingt: Mit etwa 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit erkenne ich vereinzelte Flecken eines Leoparden, der uns allerdings den Rücken zuwendet.