„Tatu, nne, tano“, von drei bis fünf zählen die Männer lachend die vergeblichen Startversuche des Motorbootbesitzers laut mit und halten sich den Bauch. Dann legt der Arme erst mal eine Pause ein und checkt das Gerät. Sita, sechs, können die Männer noch vereint rufen, dann springt die Maschine an.

Es ist hell, nur ein paar Schleierwolken stehen am Horizont und haben sich vor die aufgehende Sonne geschoben. Die Flut hat bald die höchstmögliche Stelle im Hafenbecken erreicht, und obwohl die Uhr nicht einmal sechs geschlagen hat, ist bereits viel Betrieb auf der Promenade: In der nächsten Stunde werden die morgendlichen Busse in Mokowe, dem Busbahnhof Lamus, abfahren – und Schnellboote und ein Kutter bringen die Fahrgäste dorthin. Fast nur Busreisende sind jetzt auf den Beinen – die aktuelle Hauptzielgruppe für den Bäckereistand Allawe, der längst aufgemacht hat. Eine knappe Stunde lang starten die Zubringerboote, rufen Kapitäne den Namen der Busgesellschaft, zu deren Abfahrt es den nahtlosen Anschluss gibt. Nachdem das Dutzend Schnellboote und der langsame und preiswertere Kutter hinter der Flussbiegung verschwunden sind, kehrt für anderthalb Stunden Ruhe ein, als sei nichts geschehen.

Der Rest Lamus erwacht erst langsam: Die meisten Menschen an der Seafront – auch Pwani oder Waterfront genannt – sitzen, stehen, warten und schwatzen. Einzig ein Mann diskutiert laut mit anderen und übertönt damit sogar die Motorengeräusche. Ein Blick in den Hafen zeigt: Die Daus sind in der Minderheit. Die meisten Boote sind einfache Plastikkähne mit Außenbordmotor für acht bis zehn Passagiere. Es gibt größere Holzdampfer für Lasten, wie Baumaterial, Mehlsäcke und Speiseöl, überdacht mit einer Plane, und wenige, klassische Motorboote, wie die Polizei eins hat. Ein anderes Polizeiboot wiederum liegt aufgegeben und schrottreif im Hafenbecken, nur noch der Aufbau und die Stange mit dem Blaulicht schauen aus dem Wasser. Am Fähranleger fischt ein Angler mit Strippe im Hafenbecken. Säcke mit Kohle und Kohl werden ausgeladen. Historische Kanonen sind zur Seeseite gerichtet, vor fast jedem Gebäude stehen sie, auch vor der KCB-Bank, als wollten sie Räuber abschrecken.

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Die Geschäfte haben noch nicht geöffnet, einzig am Bäckereistand ist viel los. Um ihn herum, vor allem aber auf der Bank und dem flachen Mauervorsprung dahinter, sitzen Männer mit dem Gebäck und lassen sich gewürzten Tee und Kaffee einschenken, etwa mit Ingwer angereichert. Nur das Hapa Hapa bietet ab sieben Uhr schon Shakes.

Einige Schulklassen warten auf Boote für einen Ausflug. Mädchen und Jungs lose getrennt: Die Mädchen in züchtige Moslemkluft gezwängt, die Jungs dagegen tragen lockere, verschiedenfarbige T-Shirts mit dem Emblem ihrer schiitischen Schule, der Swafaa Academy, und Baseballmützen. Überhaupt: Ich sehe so gut wie keine Frauen – und wenn, dann sind es Christinnen vom Festland, Angestellte in Banken und Hotels. Beide Gruppen leben scheinbar in zwei verschiedenen Welten: Die wenigen „sichtbaren“ Frauen der Insel müssen sich in gespenstergleichen Burkas durch die Gassen schieben; die christlichen Mädchen und Frauen tragen Jeans, T-Shirts und offene Haare.

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In der Mittagshitze dann – die Seafront Lamus liegt offen wie eine Galerie – ist es am Wasser kaum auszuhalten. Gleißend hell bestrahlt die Sonne die Promenade, doch unbeeindruckt gehen die meisten Leute ihrer Arbeit nach, meist wird etwas ausgeladen und auf Karren gepackt; ein Boot mit Korallensteinen aus dem Steinbruch von Manda macht am Kai fest, Arbeiter türmen die schwere Fracht an der Seafront auf. Ein Mann treibt eine Ziegenherde durch die Straßen, während sich die Bäckereiverkäufer unter ihrem Sonnenschirm verschanzt haben, ihre Backwaren schmoren in der Mittagssonne und so ist das Essen immer warm, als käme es frisch aus dem Ofen. Gegenüber auf Manda startet Fly540 nach Nairobi mit Zwischenstopp in Malindi.

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Orientalische Musik dröhnt wellenartig aus dem Restaurant Bush Gardens. Männer sitzen – meist in Gruppen – auf den betonierten Bänken und schauen Richtung Manda. Die Sonne geht hinter Lamu unter und bescheint die Mangroven der gegenüberliegenden Insel sowie die weiter draußen liegenden Boote. Es ist wolkenlos, nur zwei dünne, graue-blaue Schleier verzieren den Himmel, eine leichte Brise weht vom Meer. Mitten im Lamu-Channel kommt eine einsame Dau kaum vom Fleck.

Letzte Waren, die auf der Promenade lagern, werden zur ihrem Bestimmungsort gebracht. Arbeiter stapeln Baumaterialien hoch auf eine Schubkarre, sechs Kisten auf einmal. Einer schiebt und kämpft mit dem platten Reifen, zwei halten die Balance. Dann plötzlich, Rush-Hour in Lamu: Es gibt nur zwei zugelassene Autos auf der Insel – einen Krankenwagen und den Landrover des District-Chefs, temporär ist ein zusätzlicher Traktor erlaubt, der die Baustelle des neuen Anlegers bedient. Traktor und Krankenwagen – das ist zu viel für die kleine Promenade: Dass sich zwei Autos treffen, ist gar nicht vorgesehen, wohl auch nicht im Modus der Fahrer, und so reißt der Krankentransport, der gerade keinen Notfall transportiert, fast einen der wenigen Bäume um. Kurze Zeit später prescht auch noch der Distriktkommissar vorbei. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sich alle drei Autos getroffen hätten.

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Auch an der Baustelle des neuen Anlegers ist schwer was los, ständig zischt und dampft es, Pfeiler werden in den Boden gerammt, auf denen der spätere Bootsanleger montiert wird. Angesichts der Hitze fangen die Bauleute erst am Abend an und arbeiten teilweise bis morgens um drei Uhr. Auf dem Wasser dagegen ist bald Feierabend: ein tuckender Kutter, vereinzelte Boote von Mokowe. Eine Dau quert den Hafen, refft die Segel, viel zu früh, wie ich denke, doch der leichte Schwung und die Meeresströmung tragen die Dau in die Übernachtungsposition. Der Bäckereistand Allawe zwischen Bush Gardens und dem Geschäftshaus ist fort und hat nun dem abendlichen Süßigkeiten- und Zigarettenverkäufer Platz gemacht, der bis in die Nacht die Leute bedient.

Als die Sonne weg ist, rufen pünktlich die Muezzins. Zwar sind Laternen installiert, doch sie funktionieren nicht. Die sporadische Beleuchtung der Seafront übernehmen einzelne Lampen der Geschäftshäuser. Drei Backpacker kommen mit dem Boot vom Bus und bereden mit einem Einheimischen das Hostelangebot. Es wird Zeit, dass sie etwas finden, es ist fast dunkel. Nur gegenüber auf Manda brennen fünf kleine, kontrollierte Buschfeuer, deren Rauch herüberweht.