Miraa, Pombe, Tusker: Lamu im Rausch
Lamu, 18. Oktober 2012. Nachdem ich die Swahili-Küche genossen habe, erhalte ich vier Tage nach meiner Dau-Safari einen exklusiven Einblick in das Rausch- und Genussmittelangebot der Insel: Als Langzeitgast nimmt mich Matata auf einen privaten Tagesauflug mit. Keine Fahrgäste heute, er hat Zeit, und so möchte er nach Shela segeln, um sich dort ein paar nette Stunden mit einigen Kumpels zu machen. Zwar werden wir den Tag am Strand verbringen, doch Matata hat ganz andere Freuden im Blick als Baden.
Kurz vor der Mittagszeit treffen wir uns am New Palace Hotel – das bedrohlich nah am lauten Kraftwerk liegt, weshalb ich mir dort keine besinnliche Nachtruhe vorstellen kann. Es ist noch Ebbe, das Wasser fängt gerade erst an, aus dem Meer zurückzuströmen, und so muss ich durch den Schlamm zur Queen-Dau waten. Als ich das Boot besteige, bemerke ich, wie Matata bereits an einer Weinflasche herumhantiert. Doch er zerkleinert nur emsig Zwiebeln, Chilli, Knoblauch und diverse Kräuter und stopft sie in die Flasche mit Weißwein. Matata fängt also doch noch nicht so früh mit dem Trinken an – sondern erst zehn Minuten später. Vielmehr stellt er die randvolle Flasche in die Sonne, und in zwei Wochen wird das Gebräu eine gute Vinaigrette abgeben, wie Matata schwärmt.
Ein Ausflug wie zum Herrentag
Wir sind zu fünft: Matata, der Steuermann Jay, zwei Kumpels und ich. Wir fahren los und es sollte ein feucht-fröhlicher Herrenausflug werden, etwa so wie bei uns zum Männertag. Kurz nachdem wir den Hafen verlassen haben, schneidet Matata den Hals einer leeren Plastikflasche ab, nimmt sich einen Drei-Liter-Kanister und schüttet eine Brühe in das Gefäß, die der trüben Vinaigrette in nichts nachsteht: Dann stippt er einen Strohhalm hinein, nimmt einen tiefen Schluck und wird die nächsten Stunden, als sei es seine Nuckelflasche, kaum mehr davon absetzen: Es ist der in vielen Teilen Afrikas verbreitete Palmwein, Pombe ya mnazi, frisch vom Baum gezapft. Farblich und von der Konsistenz her sieht er aus wie Tapetenkleister, schmeckt aber schlechter. Der Wein ist warm und schmeckt gegoren, Alkohol scheint in jedem Fall drin zu sein, und da das die Hauptsache ist, trinken Matata und seine Freunde munter weiter. Für mich hat er zwei Kokosnüsse auf dem Markt gekauft.
Nach einer Viertelstunde passieren wir Shela, umfahren die Spitze und machen kurz hinter dem Haus fest, das Ernst August Prinz von Hannover gehören soll. Von hier aus entspannt sich auf der Seeseite Lamus über gut 20 Kilometer ein breiter, von Dünen begrenzter, einsamer Sandstrand. Wir werfen den Anker aufs Land, das in den Lamu-Channel strömende Wasser zieht uns zurück, ein Ruck und wir sind in unserer Parkposition. Derweil packen alle mit an und schnipseln für das Mittagessen: Es gibt Fisch mit Soße und Ugali – sowie Kachumbarisalat extra für mich, wie Matata betont. Heute sollte ich mich nur mit 500 Schilling (4,50 Euro) im Umlageverfahren beteiligen. Mein finanzieller Anteil dürfte wahrscheinlich das gesamte Genussprogramm abdecken, aber ich halte mich zurück. Jay bringt wieder den Holzkohlekocher in Schwung und brät zuerst den Fisch, obwohl der Rest noch lange nicht fertig sein wird.
Parallel dazu bereitet Hammed die Vorspeise für die Crew vor: Er dreht einen Joint nach dem anderen, packt sie dann aber zur Seite. Sie müssen offenbar so wie der Fisch durchziehen. Immer wieder schenkt Matata fröhlich Pombe nach. Die Sonne knallt, ich bleibe lieber beim Wasser – innen wie außen. Bis das Essen fertig sein wird, denn Matata hat noch eine weitere kulinarische Idee, werde ich mich fünf Mal abkühlen müssen, so sehr heizt uns die Sonne ein – und das halbtransparente Sonnensegel hilft auch nicht viel. Als ich zum dritten Mal aus dem Meer komme, sehe ich, wie Matata die nächste Brühe anrührt: In einem Topf brät er Zwiebeln und Tomaten, gibt Wasser hinzu – und ein paar rohe Fischköpfe. Die Fischsuppe köchelt dann eine Stunde auf „halber Flamme“. Immer wieder, wenn Matata eine Hand frei hat, greift er sich seine abgesägte Plastikflasche und schlürft weiter am Pombe.
Süße Nächte
Wir ankern direkt am Ufer, und da wir uns am Ende Shelas befinden, kommen ständig Kumpels von Matata den Weg entlang, um auf einen Schluck oder einen Joint in die Dau zu steigen: Es sind überwiegend Beachboys, die – zumindest ihrer Reputation zufolge – vor allem einsamen europäischen Mittfünfziger-Frauen die afrikanischen Nächte versüßen. Jetzt aber ist es mitten am Tag und die übertriebenen und vor allem veralteten Reisewarnungen europäischer Regierungen – nicht vor Gigolos, sondern vor somalischen Piraten –, haben dafür gesorgt, dass es kaum Touristen gibt. Also müssen die Beachboys ihre Zeit totschlagen, vor Hoteleingängen herumlungern oder sich zumindest als Guide verdingen, und Touristen mit dem Boot zwischen Lamu-Town, Shela und Manda hin- und herfahren. Die Queen füllt sich zusehends, ein Beachboy kommt stilecht mit dem Esel daher geritten, ich habe schon Angst um meine Mittagsration. Immer noch haben wir nicht mit dem Essen angefangen, obwohl der Fisch und der frische Salat bereits seit anderthalb Stunden fertig sind. Doch die Fischsuppe muss noch brodeln.
Ich kann es auch deswegen nicht erwarten, weil ich weiß: Die Truppe kann kochen. Sie ist ein eingespieltes Team, und obwohl jeder einmal am Kochtopf herumhantiert, wird es dem Geschmack keinen Abbruch tun. Doch den Ugalibrei verantwortet nur Jay, und endlich geht es los. Als Gastgeber verteilt Matata die Portionen, mir serviert er einen extra großen Teller, während die anderen sich gemeinsam aus Töpfen und Pfannen bedienen, natürlich essen wir alle mit der Hand. Ich bekomme einen halben Red Snapper, den Salat, Soße und zum Trinken die Fischbrühe: Naja, letzteres ist nicht mein Fall, und ich bin nicht mäkelig, doch ich bleibe lieber bei Fisch in fester Form: Als käme er gerade von der Flamme, so heiß ist der Red Snapper, die Kruste mit scharfer Soße und Limone verfeinert. Ich schaue nach Manda hinüber, wie jeden Tag liegen die Villen traumgleich in der Sonne. Daus und einige Speedboote fahren an uns vorbei, zwei, drei Flugzeuge starten. Sollte der Ort wieder einmal boomen, läge er allerdings genau in der Einflugschneise.
Es schmeckt fantastisch, Matata sieht es mir an und fischt aus der Pfanne noch ein Stück Fisch, ich werde satt. Statt Kaffee und Früchten kredenzt Matata dann ein Bund Grünzeug als Dessert: Miraa, die örtliche Kaudroge, sie soll so etwas wie der Kat im Jemen sein, sagt Matata. Es gibt sie bei fliegenden Händlern in schummrigen Seitengassen von Lamu-Town, aber auch in richtigen Läden. Miraa ist also offiziell erhältlich und kostet aktuell 700 Schilling pro kleinem Bund. Matata verteilt brüderlich und reicht mir unaufgefordert einen dicken Grashalm, der ebenso einer deutschen Wiese entstammen könnte. Die kleinen Blätter an der Spitze des Stängels soll ich zunächst abpulen und wegschmeißen. Dann müsse ich mit den Zähnen die rote Außenhaut des Halms abziehen, kauen und versuchen, etwaigen Saft rauszuziehen und in der Mundhöhle zu sammeln. Es schmeckt, wie Gras eben schmeckt: eher bitter und ledern, weswegen auch Matata einen Kaugummi zum Neutralisieren benutzt. Nachdem ich die trockene, rindenartige Haut ergebnislos durchgekaut und ausgespuckt habe, soll ich die weiche Spitze des Stiels abknabbern und zermalmen. Dieser Teil mundet wesentlich besser und ist zum Glück geschmacklos. Aber wer nimmt schon Drogen wegen des Geschmacks? Wobei Droge – man soll ziemlich viel davon nehmen müssen, bevor überhaupt etwas zu spüren ist. Das Gras ist legal und sogar Bestandteil von Lebensmitteln, wie den Bajia za dengu. Manche, auch Matata, schreiben Miraa eine aphrodisierende Wirkung zu, andere nutzen es zum anregenden Wachmachen wie wir etwa Kaffee. Juma, mein Taxifahrer in Mombasa, kaute es auf einer zweistündigen Überlandtour. Miraa scheint also eher eine neutrale Beschäftigungstherapie zu sein, vielleicht liegt der Vorzug sogar in seiner kompletten Wirkungslosigkeit, als dass man danach breit in der Ecke liegt. Aber Matata hat auch gleich ein großes Bündel gekauft für relativ teure 1.500 Schilling. Denn es stehen mehrtägige islamische Feiertage bevor, Eid Al-Adha, und da die hiesige Koranauslegung nichts dagegen hat, wie mir zumindest Matata, allerdings unter Miraa-Einfluss, erläutert, haben die Nachfrage und somit der Preis deutlich zugelegt.
Urlaub im Urlaub
Ich springe ins Wasser, lasse mich treiben und kehre dann über den Strand zurück. Aus der Ferne schaue ich mir die Truppe an: Als gäbe es Freibier, ist auf dem Boot ein Kommen und Gehen, nun stellt mir Matata Salama vor, Anfang 30, wie fast alle hier hat er Rastazöpfe und ist in Beachboy-Garnitur gekleidet, also lässige Shorts, ein ärmelloses Shirt, das bis zum Hosenende reicht, und ein bisschen Klimbim um den Hals. Als er hört, dass ich aus Deutschland komme, berichtet er mir, dass er bereits zwei Mal in Hannover war. Ach so, sicherlich auf Frauenbesuch – aber Moment mal … Lamu, Hannover … da war doch was. Richtig: Es stellt sich heraus, das Salama Zeuge beim legendären Show-Down von Ernst August Prinz von Hannover gewesen ist, der hier auf Lamu stattgefunden hat. Der Vorfall aus dem Jahr 2004 beschäftigte jahrelang die deutsche Justiz: Tatsächlich habe „The Prince“, wie er hier kurz genannt wird, den anderen Deutschen, einen bekannten Hotelier auf der Insel, zwei Mal geohrfeigt, wie Salama berichtet: „Einmal auf jede Wange, für zwei verschiedene Probleme: Einen Schlag für die laute Diskomusik und einen anderen für die Spotlights, die der Hotelier vom gegenüberliegenden Manda auf das ruhige Shela gerichtet hat. Dort hinten im Peponi, dem teuersten Hotel in Shela, sei es passiert. Nachts, und der Prinz sei auf 180 gewesen und musste zurückgehalten werden, damit nicht noch mehr passiert. Aber die Ohrfeigen, die waren nun wirklich nicht so schlimm: Batsch, Batsch, führt er es mir auf meinem Oberarm vor. Salama sieht sich als Entlastungszeugen und so sei er auch in Hannover vor Gericht aufgetreten. Deswegen konnte er zwei Mal nach Deutschland fliegen. Heute allerdings würde er dem Prinzen nicht mehr helfen, er sei ziemlich unbeliebt im Ort.
Pombe, Joints, Miraa, vielleicht auch die stechende Sonne, all dies verfehlt seine Wirkung nicht. Die Gruppe holt Trommeln hervor und fängt an, fröhlich zu singen. Kurz nach vier holen wir den Anker ein und setzen die Segel: Es geht zurück, und zum Glück ist auch Jay, der Steuermann, abstinent geblieben. Doch bevor wir in den Hafen einlaufen, macht Matata, inzwischen mit glasigen Augen und einem seligen Blick, den selbstlosen Vorschlag, doch noch am Floating Restaurant festzumachen. Ich verstehe, der Pombe-Kanister ist auch schon lange leer. Und so schmeiße ich für alle eine Runde, diesmal allerdings mit dem konventionellsten kenianischen Rauschmittel: Tusker-Bier. Ich gönne mir auch eins, Jay allerdings trinkt Sprite.
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