Matatu, Pikipiki und Tuk Tuk: Mombasas öffentlicher Nahverkehr
Sie sind schrill bemalt, oft schallt Diskomusik heraus, sie fahren halsbrecherisch und verursachen die meisten Unfälle: Matatus, Kenias wichtigstes Transportmittel. Die Sammeltaxis – die es so überall in Afrika gibt – bilden das Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs, auch in Mombasa, der zweitgrößten Stadt des Landes.
Matatu-Fahrer sind berüchtigt für ihren aggressiven Fahrstil, doch nahezu jeder Kenianer ist auf sie angewiesen, um zur Arbeit zu kommen, Freunde zu besuchen oder in die nächste Stadt zu fahren. Es gibt nie genug davon, innerhalb der Städte sind sie zu fast jeder Tageszeit voll, morgens fahren sie einfach durch, wenn sie überfüllt sind. Dabei tut der Makanga („Schaffner“) schon alles, um den Wagen voll zu bekommen: Fast alle Matatus in Mombasa sind Nissan-Kleinbusse, in ihnen gibt es fünf Sitzreihen mit 14 offiziellen Sitzplätzen, plus Fahrer und Makanga. Inoffiziell könnten sich noch einige Leute mehr hineinquetschen, doch zumindest morgens, wenn die Polizei überall steht und abkassieren würde, geht das nicht.
Kleinbusse wie ein Nachtclub
Matatu-Besitzer müssen Mitglied im Matatu-Verband sein. Die Fahrzeuge befahren festgelegte Strecken, beispielsweise Ferry–Bamburi (nicht zu verwechseln mit Bamburi-Beach, wie ich am Ziel in Bamburi feststellen musste) oder General Post Office–Mtwapa, einem Vorort Mombasas. Ob violett, metallic-grau, rosa – an der Farbe lässt sich das Fahrtziel nicht erahnen, das ist nur klein aufs Auto geschrieben. Dagegen sind alle Matatus mit einem dicken gelben Streifen markiert, der Fahrer trägt einen blauen Kittel, der Makanga einen roten. Diese drei Erkennungsmerkmale wurden zusammen mit einem Geschwindigkeitsbegrenzer und Sicherheitsgurten erst im Jahr 2004 vorgeschrieben, um den Wildwuchs einzudämmen und das Verkehrsmittel zumindest halbwegs zu regulieren. Denn früher betrieb förmlich jeder Matatus, der einen Kleinbus besaß. Der inzwischen verstorbene Verkehrsminister John Michuki, einer der mächtigsten Politiker seiner Zeit und Intimus des Präsidenten Mwai Kibaki, initiierte diese Vorschriften und wurde so zum meistgehassten Mann Kenias. Es gab einen Matatu-Streik, vor allem angeführt von den illegalen Bus-Betreibern, Kenia stand für kurze Zeit still – auch weil Gurte und Geschwindigkeitsbegrenzer im Land fehlten. Dann bröckelte die Front und die Besitzer sahen die neuen Regelungen, die Michuki-Rules, und Investitionen ein.
Banden kassieren mit
Laufende Kosten ganz anderer Art, gegen die bislang kein Minister etwas unternommen hat, müssen die Besitzer ebenfalls hinnehmen – Schutzgelderpressung: Unverblümt offen, verdeckt oder verpackt in vermeintliche Dienstleistungen. Regelmäßig – und das kann bei jeder Durchfahrt sein – müssen Matatu-Betreiber in ihrem Heimatort örtliche Schlepper bezahlen, die die zentralen Matatu-Haltestellen kontrollieren und ihnen dann Kunden zuführen. Angesichts der Fülle der Fahrgäste, die ohnehin alle ein Matatu nehmen, stellt sich die Frage, worin der Mehrwert besteht? Wie bei Dienstleistungen dieser Art üblich lautet die Antwort: „Es ist besser, wenn man zahlt.“ In und um Nairobi kassiert die Mungiki-Sekte im großen Stil ab: Beispielsweise 30.000 Schilling pauschal (fast 300 Euro) für ein neu auf die Strecke gebrachtes Matatu. Zudem fordert die Gang mitunter, dass entweder der Fahrer oder der Makanga einer von ihnen sein muss, um an den täglichen Einnahmen teilzuhaben. Die Mungiki-Sekte, die sich aus Kikuyus rekrutiert, Kenias größter Ethnie, hat in anderen Regionen ihre Pendants. Oft zahlt der Makanga 50 Schilling, wenn er ein bestimmtes Viertel durchfährt (siehe folgendes Kapitel „Ein Frontbericht aus dem Matatu“) – oder es wird einem etwa die Scheibe eingeschlagen, was die vergleichsweise höflichste Form einer klaren Ansage ist. Bei den Mungiki gehen nicht nur Fenster zu Bruch. In der Regel bekommt der Fahrgast davon nichts mit, diese und andere Schwierigkeiten werden erfolgreich mit R’n’B-Musik übertönt. Trotzdem meinen viele, dass die Fahrzeuge nicht ohne Grund so ähnlich heißen, wie das Kisuaheli-Wort für Probleme: Matata.
Wie für Erpressungen gibt es auch für die Fahrpreise Richtwerte, ja beide korrespondieren erstaunlicherweise miteinander. Innerhalb einer Stadt zahlt der Fahrgast je nach Strecke 20 bis 30 Schilling, während er in der Rush-Hour durchaus 50 Schilling berappen muss. Für den Arbeitsweg kann also mehr als ein Euro pro Tag draufgehen, denn oft reicht eine Matatu-Verbindung nicht aus und die Fahrgäste müssen umsteigen. Auch mittellange Überlandfahrten von einigen Stunden, etwa Malindi-Mombasa, übernehmen Matatus. Hier gibt es sogar Expressbusse, die eben nicht zwischendurch anhalten, damit Passagiere ein- und aussteigen können. Vor allem dieses permanente Stoppen ist ein Grund für den morgendlichen Verkehrsinfarkt in Mombasa. Tatsächlich sind oft nicht die Straßen überfüllt. Es haben sich nur Dutzende Kleinbusse ineinander verkeilt, zwangsläufig ist die einzige Fahrspur dicht. Denn Matatus halten überall an, um Leute rauszulassen und neue Passagiere mitzunehmen. Allein mit simplen Parkbuchten, für die es genug Platz gäbe, ließe sich der morgendliche Kollaps lindern. Doch so blockieren Matatus die Spur und halten nur selten auf dem ausgefransten Seitenstreifen. Selbst sonntags, wenn die Strecke frei wäre, kann es so zum Stau kommen, weil die wartenden Autos wegen des Gegenverkehrs nicht überholen können.
Hasardeure am Steuer
Matatu-Fahrer jedoch sind nicht auf die Gegenspur angewiesen: Sie preschen kurzerhand auf dem Seitenstreifen an der Schlange vorbei und drängeln sich weiter vorne, am nächsten Stau, einfach rein. Denn Zeit ist Geld: Entweder hat der Fahrer das Auto als Selbständiger gemietet oder er muss als Angestellter dem Besitzer einen Fixpreis, beispielsweise 3.000 Schilling pro Tag, bezahlen – da die oft misstrauischen Bosse die Einnahmen nur mit großem Aufwand kontrollieren können. Alles, was darüber hinausgeht, fließt in die Kasse des Fahrers und des Makangas – was den Fahrstil, die Unfallzahlen und die Sitzauslastungsquote befeuert, die zu Stoßzeiten auch mal 130 Prozent betragen kann. Matatufahrer sind berüchtigt, sie tun alles, um auch nur ein Auto zu überholen, sie scheren sich nicht um den Gegenverkehr oder Fußgänger. Währenddessen hängt der Makanga in der Seitentür, ruft das Fahrziel, schaut nach neuen Kunden, spricht Fußgänger an, stopft neue Fahrgäste ins Auto, kassiert ab, während mehrere Dutzend Geldscheine gefaltet zwischen seinen Fingern klemmen – und klopft vor allem permanent aufs Blech, um so dem Fahrer zu signalisieren, dass er anhalten oder abfahren soll. Oft können sich die beiden auch deswegen nicht verständigen, weil das Auto zum fahrenden Diskomobil umfunktioniert worden ist, inklusive Lichtanlage, flackernden LED-Schläuchen und Flachbildschirm. Manche Autos, vor allem in Nairobi, sehen aus wie Nachtklubs. Angesichts der Konkurrenz ist solch eine Aufrüstung zwangsläufig, wummernde Musik ist in vielen Matatus ein Muss. Vor allem in Nairobi, aber auch in Mombasa, winken Passagiere, wenn sie es sich zeitlich leisten können, mehrere Matatus durch und warten eine halbe Stunde, um mit der richtigen Musik im Stau zu stehen. Andere Matatus wiederum bedienen die Bedürfnisse der älteren Passagiere, aber auch erholungssuchender Touristen, und spielen keine Musik.
Wer es jedoch eilig hat, um nach Hause oder zur Arbeit zu gelangen, nimmt sich ein Pikipiki, auch Bodaboda genannt – ein Motorrad: Wie ein Taxi fahren sie alle Strecken auf Wunsch, sind aber deutlich billiger. Vor allem warten die Motorräder an zentralen Punkten entlang den Hauptstraßen, um von dort aus die Kunden ins – matatulose – Hinterland zu befördern. Nicht so schnell wie Motorräder und auch nicht wie Matatus, doch wesentlich bequemer, sind Tuk Tuks, Motorradrikschas wie sie auch in Asien bekannt sind.
Sie verpesten besonders das dichte Zentrum Mombasas mit ihrem Gestank, vor allem aber mit ihrem Lärm, der als Klangteppich über der Innenstadt liegt. Darunter leiden jedoch nur die, die nicht drinnen sitzen: Für den Fahrgast, zumal Tourist, macht die Fahrt Spaß, der Luftzug ist eine willkommene Erfrischung, sie sind nur halb so teuer wie ein Taxi und können einen sogar durch die engen Altstadtgassen vom Mombasa kutschieren. Unschlagbarer Vorteil gegenüber dem Motorrad: Sie sind überdacht, was gegen Sonne und Regen schützt. Bis zu drei Passagiere haben vorschriftsgemäß auf der Rückbank Platz – eine Anzahl, mit denen Pikipiki wiederum mithalten können: Ich hätte nicht geglaubt, dass bis zu drei Passagiere auf einem handelsüblichen Motorrad mitgenommen werden können, wozu allerdings der Gepäckträger zu Hilfe genommen werden muss. Jenseits der Vorschriften passen jedoch wiederum noch mehr Passagiere in ein Tuk Tuk: Vier hinten auf der Bank, und einer neben dem Fahrer, das macht insgesamt sechs Insassen. Ich habe aber auch schon acht gesehen, zwei davon sitzen hinten auf der Gepäckablage, wobei die Leute in diesem Fall mit dem 50 PS-Motor kaum noch vorankommen. Tuk Tuks, mit denen Fahrgäste also gegenüber Matatus keine Zeit gewinnen, knattern dermaßen laut, dass sie aus vielen Innenstädten verbannt worden sind, etwa denen Nairobis oder Dar es Salaams. Auch wer mit der scheppernden Rikscha zum Hotel zurückkehrt, muss bereits an der Hotelschranke aussteigen, da sonst alle anderen Gäste aus ihren Betten fallen würden.
Froh, heil anzukommen
Egal ob Pikipiki, Tuk Tuk oder Matatu – ich bin jedes Mal froh, gesund angekommen zu sein. Beim Matatu jedoch wartet am Ziel der komplizierteste Teil der Reise. Denn nur mit Erfahrung ist es möglich, sich wieder aus der vollen, beengten und niedrigen Kabine zu schälen – und diese Körperbewegung könnte durchaus eine olympische Turnsportart werden: Wer auf den hinteren Sitzen gesessen hat, schiebt sich zunächst durch den schmalen Spalt zwischen Außenwand, dem Fahrgast, der dort sitzt, und der Sitzbank auf der anderen Seite – was ausschließlich seitwärts möglich ist –, hält sich beherzt an der Lehne oder einem Mitfahrer fest, um dann rückwärts seine Beine suchend Richtung Ausgang, Trittbrett und Straße zu bewegen. Höhere Haltungsnoten gibt es für den Schwierigkeitsgrad „mit Gepäck und Taschen“. Die Passagiere sind dermaßen darauf konzentriert, heil aus dem Auto zu gelangen – während der Makanga schon aufs Autoblech klopft und die nächsten Passagiere reinwollen –, dass nicht ohne Grund Diebe genau diesen Aussteigevorgang nutzen, ihnen das Portemonnaie aus der Tasche zu ziehen.
Auch deswegen sind bei vielen Fahrgästen die Plätze vorne neben dem Fahrer begehrt: Die beiden Passagiere dort haben mehr Beinfreiheit, mehr Platz zur Seite, sitzen nicht gequetscht – vor allem aber drängelt nicht ständig ein Mitreisender an einem vorbei oder man muss gar aufstehen und den Fahrgast auf der Fensterseite durchlassen. Doch nicht jeder mag den bequemen Platz neben dem Fahrer: Matatus sind ein solch zentrales Element der kenianischen Alltagskultur, dass sie eine Vielzahl von Legenden und modernen Märchen hervorgebracht haben à la „Die Spinne aus der Yuccapalme“. So warnen massenhafte Rundmails vor angeblichen Annäherungsversuchen der Fahrer, die die Passagiere vom Fahrersitz aus mit einer Spritze vergiften und dann ausrauben, wenn sie eingeschlafen sind. Es scheinen aber nicht alle daran zu glauben – die vorderen Sitze sind stets belegt.
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