Lamu, 14. Oktober 2012. Erschöpft und geschafft müsste ich mich nun erst einmal eine Weile erholen – doch bereits am nächsten Tag geht es in die andere Richtung: Vom Nachmittag bis zum frühen Abend werden wir den Lamu-Channel gen Süden befahren, nur ein kurzes Stück zur anderen Spitze der Insel, zum Dorf Shela, wo das offene Meer beginnt. Gegenüber von Shela liegt die Schwesterinsel Manda mit einem Bilderbuchstrand, an dem nicht ohne Grund einige Reiche und Erfolgreiche ihre Villenträume verwirklicht haben.

Endlose Strände hinter Shela.
Endlose Strände hinter Shela.

Dieses Mal weiß ich Bescheid, als wir die Leinen losmachen: Erst einmal die Sicht auf Lamu-Town genießen und dann die Sachen verstauen. Doch bis auf den gewohnten Blick auf die arabische Altstadtfassade hätte ich heute nicht viel verpasst, denn nur im Kern und dessen Hinterland hat Lamu-Town ansehnliche Häuser. Wir fahren an der Baustelle des Bootsanlegers vorbei, an Handwerkerhütten und Holzhändlern und am brummenden Dieselkraftwerk, das die Akustik der Stadt prägt. Ich wende daher meinen Blick in Fahrtrichtung nach Shela: Schon von Weitem erkenne ich die hohen, mit den Dünen verwobenen Häuser, schimmern die weißen Fassaden der Villen mit ihren Säulen und Bogengängen hindurch. Die erste Etappe dauert nicht lange, nach gut zehn Minuten passieren wir die ersten Paläste, deren großzügige Veranden, Terrassen und Gärten zum Wasser hinausführen, sodass der belebte Uferweg schließlich im Hinterland verläuft. Nach fünf Minuten legen wir an, und Nakala wird mir eine dreiviertel Stunde lang den Ort zeigen, wie uns Matata erklärt. Ist das nicht ein bisschen zu lange? Ich wollte doch an den Strand. Doch Matata legt ab, wahrscheinlich muss er zwischendurch noch ein paar Geschäfte machen.

Shela – ein Dorf wie aus dem Ei gepellt

Nach ein paar Metern biegen wir in die erste Gasse ein, die leicht geschwungen den Hügel hinaufführt. Shela ist ein Dorf, und es gibt kaum Läden und Geschäftsbetrieb. So zieht es die meisten Touristen hierher statt ins quirlige Lamu-Town. Ich reibe mir die Augen, Shela ist offenbar die Edelvariante der Insel: Es ist richtig sauber, die meisten Häuser sind herausgeputzt, es gibt liebevoll angelegte Gärten. Vor allem die Sauberkeit kommt für afrikanische Verhältnisse einer Mondlandung gleich. Schnell sind wir am Ende der Gasse angelangt und lassen uns weiter ins Innere Shelas treiben. Manche der Mauern, wie auch viele der Gebäude, sind aus fossilen Korallen gebaut oder damit verkleidet, die in Steinbrüchen der Umgebung abgebaut werden. Über den Mauervorsprüngen winden sich Pflanzen, durch kleine Gräben am Wegesrand plätschert Wasser – es ist natürlich Abwasser, aber das gediegene Gurgeln passt zur Stille. Wir durchschreiten Tore, über die hinweg manche Häuser gebaut sind. Es ist sehr ruhig, auch im islamischen Küstengebiet gibt es wohl so etwas wie Sonntagsruhe. Fast niemand ist auf den Wegen, und auch die leicht aufdringlichen Beachboys sehen wir nur kurz am Anleger – obwohl in Shela die Dichte an Gästen deutlich größer ist als in Lamu-Town.

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Überall herrscht distinguierte Ruhe – es ist nun einmal der Nobelvorort, in dem sich viele Reiche niedergelassen haben, darunter auch Prinz Ernst-August von Hannover kurz vorm Ortsende am Strand. Die, die es sich leisten können, haben hier ihre orientalischen Phantasien ausgelebt oder gekauft: Riesige, teils fünfstöckige Herrenhäuser, deren einzelne Etagen und großzügigen Terrassen in alle Richtungen hin anmutig angeordnet sind. Wir wenden uns weiter, touchieren das deutlich einfachere Viertel der Einheimischen, sehen gepflegte Parkanlagen und vollständig aus Muschelkalk und Korallen gebaute Häuser. Fast alle Gästehäuser und Hotels sind im traditionellen Stil gehalten, doch ohne den sonstigen aufwühlenden Betrieb. Nach einer halben Stunde stillem Staunen, eine Orientierung habe ich schon längst nicht mehr, führt uns eine Gasse direkt zum Meer, besser noch: von hier aus konzentriert sich der Blick direkt auf Manda. Die Gebäude dort sind gewissermaßen die kurze Elbchaussee von Lamu. Aufgereiht stehen drei Dutzend Villen, Paläste, tempelartige Prachtbauten mit teils ausladenden Treppen, die – je nach Gezeit – direkt ins Wasser führen. Doch noch sind wir in Shela, und in der schicken Hotelanlage des „Peponi“ mit Garten, Rasen und viel Schatten, genießen die Gäste den Fata-Morgana-Blick nach Manda.

Blick von Shela nach Manda.
Blick von Shela nach Manda.

Pünktlich legt Matata wieder an und wir rauschen los, es sind keine zehn Minuten zum Übersetzen. Ich kann mich nicht entscheiden, wo soll ich zuerst hinschauen? Nach Shela oder Manda? Beides betört sirenengleich. Da Shela im Gegenlicht liegt, entscheide ich mich für Manda. Ich setze mich nach vorne auf die Spitze, lasse mir den Wind um die Ohren wehen, habe extra ein tiefgekühltes Getränk mitgebracht, da das Matata beim letzten Mal verbaselt hatte, und genieße den Sehnsuchtsmoment. Der schneeweiße Traumstrand rückt immer näher: Die Hälfte der Häuser sind dezent hinter Bäumen und den Kronen der Akazien versteckt, deren Riesenschirme Manda von Weitem prägen. Andere Gebäude wiederum haben drei, vier Etagen oder Türme, deren meist sandfarbenen Fassaden sich kontrastreich vom Himmel absetzen, denn die Insel ist flach, keine Anhöhe verstellt den Hintergrund. Ein paar Boote liegen vor Anker, Kinder spielen im seichten Wasser, eine Yacht wiegt sich in den Wellen. Kaum sind wir da, lasse ich mich ins klare Wasser gleiten.

Manda: Traumstrand vor Traumvillen

Gerade hier, am Ausgang zum Meer, gibt es eine kräftige Strömung, sodass ich besser in Strandnähe bleibe, um nicht zu sehr mit den Naturkräften kämpfen zu müssen. Ich stelle mich ins Wasser, nur unmerklich laufen die Wellen am Strand aus, als wollten auch sie sichtbare Zurückhaltung üben. Es ist Sonntag, und zwei, drei Boote haben Kinder aus dem Waisenhaus von Lamu-Town hierhergebracht, ein paar kleine Gruppen von Europäern, wahrscheinlich Residents, lassen ihre Schnellboote gekonnt lässig bis auf den Strand gleiten und laufen mit Kennerblick in eines der beiden Lokale, den Lamu House Beach Club. Es ist, als würde gleich der Karibikwerbefilm von Bacardi gedreht.

Manda ist der Nobelvorort von Lamu: Ein Palast reiht sich an die nächste Edelvilla.
Manda ist der Nobelvorort von Lamu: Ein Palast reiht sich an die nächste Edelvilla.

Hier möchte ich bleiben, doch schnell erklärt mir Matata, dass ich schwerreich sein müsste, um auf Manda residieren zu können. Wohlhabender Geschäftsmann oder Sicherheitschef eines afrikanischen Potentaten wären eine gute Voraussetzung. Ich habe mich zurück in die „Queen“ gehievt. Nakala schneidet die Ananas, serviert Kaffee und Gebäck. Vom Boot aus beobachte ich die Szenerie. Ich will ja nicht gleich ein Haus kaufen, sondern hier nur übernachten. Mit Matata, der mir das Queen-House vermietet, frage ich natürlich den Falschen: Tagestouristen ja, aber ansonsten sei das hier ein „closed-shop“, einzig ein superteures Hotel gebe es, das Majilis, ich könne mir ja mal die Preise im Internet anschauen … Und selbst wenn ich mich irgendwo einquartiere: Hier gebe es keinen Strom, keinen Laden, nur mit dem Boot lasse sich etwas erledigen. Wie sich später herausstellt, war das alles nicht ganz korrekt: Mindestens einen kleinen Laden gibt es, und am Diamond Beach am anderen Ende werden ein paar Hütten vermietet, in der Nebensaison schon für 30 Euro die Nacht, inklusive Frühstück. Ich springe wieder ins Wasser, möchte jede Sekunde im Jetzt genießen. Wie im Rausch will ich alles aufsaugen, bevor in gut einer Stunde die Sonne hinter Lamu verschwindet. Ich schwimme an Land und spaziere gen Norden, nur noch vier Villen stehen hier, an der letzten versperrt die Freitreppe ins Wasser den weiteren Weg. Dahinter läuft der Strand in den Mangroven aus.

Ich gehe zurück, schaue mir den Beach Club im rustikalen Robinsonstil an. Wie um die Exklusivität zu unterstreichen, kann ich das Publikum an zwei Händen abzählen; zwei, drei Familien liegen auf archaisch zusammengezimmerten Pritschen mit Sonnenverdeck am Strand und schauen auf die sinkende Sonne. Nur leiseste Musik, nirgendwo Fernseher – kein Wunder, der Betreiber ist Europäer. Versteckt hinter einigen Bäumen und Gebüschen sind ein paar Sitzgruppen und schattige Bänke in die Landschaft drapiert – abgegrenzt durch eine urige Holzbar.

Strand auf Manda.
Strand auf Manda.

Den Sonnenuntergang möchten wir in der Nachbarbucht genießen. Wir legen ab und biegen in den Mto wa takwa ein, einen Meeresarm, der Manda fast in zwei Hälften teilt. Ich esse die letzten Ananasstücke und genieße die Ruhe. Zwar bläst der Wind nur noch leicht ins Segel, trotzdem kommen wir gut voran. Wir schauen in die im letzten Sonnenlicht üppig glühenden Mangroven, kein Geräusch, nur die glucksenden Wassergeräusche der Queen.

Wie ein Fächer läuft die Bucht spitz zu, sodass wir bald wenden müssen und Kurs gen Heimat nehmen. Doch obwohl wir uns keine zehn Minuten vom Hafen befinden, gibt es noch einen letzten Programmpunkt: Das Floating Restaurant – ein riesiges mit verschiedenen Hütten überbautes Holzfloß, das mitten im Lamu-Channel zwischen den beiden Inseln festgemacht worden ist: Reetdächer, Loungeecken, Freiflächen direkt am Wasser – an der Konstruktion liegt es nicht, dass die findige Idee leider keine weiteren Gäste anzieht. Flaute also im Floating Restaurant, in dem es inzwischen nur noch Getränke gibt: Das Bier ist gut gekühlt, und ich lade Matata ein, während wir die Abenddämmerung über Lamu genießen.

Hier geht es zum ersten Teil.