Lamu-Archipel, Pate Island, Manda Toto, 27. Oktober 2012. Natürlich habe ich mich vor der Ausfahrt gefragt, ob eine ausgedehnte Segeltour durchs Lamu-Archipel über das offene Meer nach Pate Island sicher ist? Denn bisher sind wir mit der „Queen“ ausschließlich im eher geschützten Lamu-Channel zwischen Manda und Lamu unterwegs gewesen. In den vergangenen zwei Wochen hat mich jedoch nur die Gästeflaute daran erinnert, dass es diese beiden Entführungen im Frühherbst 2011 gegeben hat. Was mich aber wirklich beruhigt: Wir durchqueren auf unserem Weg nach Pate das Einzugsgebiet einer amerikanischen Marinebasis, Magogoni Naval Base.

Am späten Vormittag fahren wir los. Matata köpft gleich eine Kokosnuss, und Nakala serviert eine kleine Portion gekochtes Rindfleisch, bevor wir für die kommenden Mahlzeiten auf Fisch umschwenken werden.

Ein Wegweiser durch die Riffs.
Ein Wegweiser durch die Riffs.

Am Flussdreieck, das das Festland, Lamu und Manda bilden, biegen wir heute nach Norden in den Mkanda Channel ein. Und gleich am Eingang ragen gefährlich hohe und scharfe Klippen aus dem Wasser. Früher war der Kanal nur bei Flut gut befahrbar. Da er jedoch die einzige Verbindung zwischen Lamu und den Siedlungen im Norden, vor allem Pate Island, darstellt, hat eine niederländische Spezialfirma den Gürtel ausgeschachtet. Meterhoch reckt sich der scharfe Abraum in Form von Korallenbergen aus dem Wasser. Früher gelangte man bei Ebbe zu Fuß vom Festland nach Manda, was auch Elefanten, Löwen und andere wilde Tiere ausgiebig genutzt haben. Nun sind auf Manda nur noch Dik-Diks verblieben, ab und zu kommen Büffel, die durch den Kanal schwimmen.

Nach einer knappen Stunde verlassen wir den Kanal und segeln durch die Manda Bay. Auf dem Festland, liegt die Marinebasis, die Kenianer und Amerikaner gemeinsam betreiben. Ich bin ganz froh, dass sie in Sichtweite ist.

Die Flut schiebt uns nach Pate 

Wir müssen um die Außenspitze der Insel herumfahren, um Pate zu erreichen. Mit der einsetzenden Flut gelangen wir über das Riff in die Pate Bay. Matata hat die Gezeiten ständig im Blick – wenn wir früher angekommen wären, hätten wir gar nicht passieren können. Den Takt geben von jetzt an Ebbe und Flut vor, und zwar nicht nur wegen des Wasserstands, sondern auch mit ihrer Strömung.

Ohne, dass wir es vorher bemerkt haben, nähert sich uns von hinten ein Schnellboot. Zügig nimmt es Kurs auf unsere gemächliche Dau. Ist es soweit? Werde ich nun von somalischen Piraten entführt? Matata hat mir doch versprochen, dass es hier sicher ist. Ich schaue besorgt zu ihm hinüber. Unbekümmert steuert er die „Queen“ weiter.

Das Boot ist voller amerikanischer Soldaten, die zum Freundschaftsbesuch in ein Dorf fahren, wie mir Matata erklärt. Sie sind in nicht-militärischer Mission unterwegs, die Uniformjacken weit geöffnet und unbewaffnet. Wenn sie so sorglos mit einem gecharterten Fischerboot herumfahren, kann man sich offenbar ungefährdet in diesen Gewässern bewegen. Oder liegen ihre Gewehre auf dem Boden des Boots?

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Seit 14 Uhr kochen Jay, Nakala und Matata, und alle ihre Handlungen scheinen, wie von Geisterhand synchronisiert: Gemüse schneiden, anbraten, würzen, Segel einholen; Kokosnuss köpfen, Töpfe auswaschen, steuern; Holzkohle nachlegen, Koriander zermahlen, Motor auf Touren bringen. Ich trinke die dritte Kokosnuss aus, dann schnappt sich Nakala die Mbuzi, ein stiefelknechtähnliches Holzgerät, um das Innere der Nuss auszuschälen. Es ist aufgebaut wie ein Klapphocker mit einem im 45-Grad-Winkel angebrachten Brett, auf das sich Nakala setzt. Auf der gegenüberliegenden Seite ist eine gezackte Klinge aufgepfropft, mit der er das Nussinnere herausraspelt. Nach zehn Minuten ist die Schüssel randvoll, erstaunlich, wie ergiebig eine Kokosnuss ist, und der nächste Arbeitsgang beginnt. Er füllt die Raspeln in die Kifumbu, einen ein Meter langen, korbähnlichen, elastischen Schlauch. Dann rollt er die Kitumbu auf, presst die Milch aus und gibt sie in die Fischsuppe. Die nun geschmacklosen Reste schüttet er ins Meer.

Spaziergang durch den Palmenhain

Die Strömung trägt uns in einen Fjord direkt nach Pate hinein, auf dem letzten Kilometer können wir sogar das Segel einholen, der Motor bleibt aus. An dem Palmenhain erkennen wir schon von Weitem das Dorf, es ist berühmt für seine Kokosnüsse. Am Ende des schmalen Kanals nimmt uns Hassan in Empfang. Es ist 15 Uhr, unsere Töpfe, Pfannen und Grillplätze quellen über vor Suppen, Soßen und Fisch. Doch Matata hat mir wieder eine Dorftour organisiert, bevor es ans Mittagessen geht. Ich werde an Hassan übergeben. Matata hat schon vorher das Trinkgeld für mich ausgehandelt: 700 bis 1000 Schilling, wenn ich zufrieden bin und vor allem, wenn wir Nachschub an Kokosnüssen bekommen.

Das 2000-Einwohner-Dorf liegt ausgestorben in der Nachmittagssonne, nur wenige Bauern, verschleierte Frauen und ein paar Kinder sind unterwegs. Hassan zeigt mir die Bananenfelder, Tabakpflanzen und einige Ruinen, Wohnhäuser und Gräber einstiger Sultane; wobei es früher auch Sultane gab, deren Einflussbereich nicht über den eines Dorfschulzen hinausging. Ansonsten ist nichts los, kein Laden hat auf, ein paar Jungs spielen Elfmeterschießen – neben der laut vernehmbaren Koranschule der kulturelle Höhepunkt unseres Spaziergangs.

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Erst die Begegnung mit Omar verleiht unserer Dorftour tatsächlich einen Sinn. Omar ist schlank, körperlich gut trainiert und hellhäutig. Er sieht eher arabisch aus, ein Beleg für die Vielzahl der Völker, die sich in diesem Winkel des Indischen Ozeans in früheren Jahrhunderten gesammelt, vermischt oder eben auch nicht vermischt haben. Omar ist mit einem halblangen Messer bewaffnet. Wir verlassen gemeinsam das Dorf, immer weiter vom Schiff und dem längst gedeckten Mittagstisch weg, rein in den Palmenhain. Fachmännisch kundschaften Hussein, Omar und Nakala die Baumkronen aus, um das passende Objekt auszuwählen. Dann bestimmt Omar den richtigen Baum, zieht sich die Schuhe aus und steigt geschwind den schmalen Stamm nach oben. Zwischendurch hält er an, solange, wie ich Zeit zum Fotografieren benötige. Wie festgewurzelt wartet er in der Mitte des Baumes.

Kokosnussernte

Dann knallt es direkt neben uns, bombengleich prasseln die Kokosnüsse herab. Brauchen wir so viele zum Kochen und Trinken? Omar und Hassan wollen sich offenbar ihr Trinkgeld redlich verdienen. Mit dem fünfzehnten Einschlag ist Schluss, Omar klettert hinab und sieht kein bisschen abgekämpft aus. Sofort macht er sich an den nächsten, keineswegs leichteren Schritt: Er setzt sich auf den Boden, schwingt sein Messer und haut es in die dicke Schale einer Nuss, hebelt die zähe Rinde locker, schneidet weiter und hat in einer Minute die Nuss freigelegt, geköpft und mir als Durstlöscher gereicht. Ich wäre an dieser Aufgabe verzweifelt, und ich weiß nicht, was zuerst entzweigegangen wäre: die Nuss, das Messer oder meine Finger?

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Mit dem Rest der geschälten, aber ungeköpften Nüsse machen wir uns auf den Rückweg, sodass wir endlich um 16 Uhr das Boot erreichen. Über Omars Leistungen bin ich begeistert, weswegen ich aufs Trinkgeld noch ein Trinkgeld oben drauf gebe. Matata und Jay haben die „Queen“ schon in Fahrtrichtung positioniert. Wir verabschieden uns, waten durchs Wasser und verlassen mit Motorkraft den Stichkanal zur offenen Pate-Bay. Kaum losgefahren erläutert mir Matata das Programm bis zum Sonnenuntergang. Ich kann vor Hunger kaum denken, er erklärt mir aber, dass es nun einen Appetizer gibt und das Hauptessen später. Ich hatte angesichts der vorgerückten Stunde befürchtet, dass Mittag- und Abendessen zusammenfallen. Aber jetzt nur einen Amuse-Gueule und dann noch einmal warten? „Matata! Ich habe echt Hunger!“

Tatsächlich ist der Appetitanreger, den er mir auftischt, eine vollwertige Mahlzeit und besteht aus zwei gegrillten großen Fischhälften je eines Weißen und Roten Kwazi. Auf die Beilage haben sie freundlicherweise verzichtet, ich solle zwei Toastbrotscheiben dazu nehmen. Ich habe Mühe, auch nur die zwei Fische zu essen, die mit einer dicken Soße garniert sind. Nach dem Essen setze ich mich auf die Bootsspitze. Wir rauschen durch die Pate-Bucht, das offene Meer linkerhand, eine Halbinsel rechts. Unerwartet schiebt mir Matata den Zwischengang auf die Matratze: eine Suppe mit Coralfish, Kokosmilch, Knoblauch, Limone und Chili. Mit dem Coralfish habe ich etwas zu kämpfen. Er hat nicht nur der Suppe den Geschmack gegeben, sondern schwimmt auch in einem einzigen großen Stück in meiner Schale. Nach dem Kampf lecke ich mir jeden Finger mehrmals ab, jeder Soßenspritzer ist kostbar.

Ich sterbe vor Hunger – und werde dann gemästet

Wir umfahren die Inselspitze, schwenken in die natürliche Fahrrinne zwischen den Riffen der Manda-Bay ein und gleiten in den Sonnenuntergang. Der Wind bläst stark ins Segel, wir bekommen ordentlich Fahrt, unter der „Queen“ rollen die Wellen hindurch und geben uns zusätzlichen Schwung. Normalerweise wird mir dabei sofort schlecht, doch heute fühle ich mich kein bisschen unwohl. Ich habe mich satt ausgestreckt und schaue unserem Ankerplatz auf der geschützten Rückseite von Manda Toto entgegen, als Matata mir eröffnet, dass der Hauptgang naht. Ich kann nichts mehr essen, doch ich habe bereits die beiden großen Fische gesehen, die auf dem archaischen Kohlegrill brutzeln. Nun gibt es Tewa und Tangu, dazu Reis und eine suppenartige Soße aus Tomaten, Kokosmilch und Kohl, die allein eine Hauptmahlzeit ausmachen würde. Ich zögere, doch ein herausgeschälter Fischhappen bringt mir meinen Appetit zurück, den die Appetizer schon gestillt hatten.

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Die Sonne geht ein paar Minuten früher als geplant hinter einigen Wolken unter. Wir biegen Richtung Manda Toto ein, einer kleinen Insel, auf der der See abgewandten Seite, fahren Richtung Strand und machen fest. Nakala und Jay befestigen zwei Stützfüße an den Außenseiten der Queen. Sie haben dieselbe Höhe wie der Rumpf des Schiffs. Wenn das Wasser aus der Bucht geströmt ist, werden wir fest und stabil im Trockendock liegen.

Nahtlos hat der fast volle Mond die Sonne abgelöst. Wie ein Flutlicht beleuchtet er die Bucht und den Waldstreifen von Manda Toto. Es ist gerade einmal 19 Uhr. Dennoch fühlt es sich an, als sei es Mitternacht. Jay und Nakala haben sich schon hingelegt. Es weht ein lauer Wind, sodass die Glut des Grills den Füßen willkommene Wärme spendet. Matata hat einen Topf Tee gekocht. Auf der kalten Hälfte des Rosts warten zwei bereits gegrillte Fische darauf, wieder über die Holzkohle geschoben zu werden. Abwechselnd unterhalten wir uns, horchen in die Stille und schauen in die weite Bucht. Nur ein einsamer Nachtwächter gegenüber im leeren Feriendorf Manda Bay leuchtet mit seiner Laterne, in der Ferne sehe ich ein paar Lampen der unscheinbaren Marinebasis. Wie am Tag ist die Bay ausgestorben; das Fischerboot vom Nachmittag war das Einzige, das wir gesichtet hatten.

Es ist nach 21 Uhr, Matata serviert mir ein paar Früchte und fragt, ob ich noch etwas Fisch möchte. Ich bringe es nicht übers Herz abzulehnen, der Fisch sieht zu knusprig aus. „Aber bitte nur einen. Hast du etwas Limone?“ Ich entscheide mich für White Snapper, und als Absacker gibt es eine Matata-Spezialität: Tee und Kaffee gemixt, dazu Ingwer, Kardamom und Zucker. Inzwischen hat sich das Meerwasser vollständig zurückgezogen, wir sind gestrandet, und die „Queen“ schläft auf ihren Füßen.