Martin und die Sprache
„Uh uh uheh?“, brabbelt der 60-jährige Mann, der mit Bomberjacke am Bahnhof von Parkes steht. Seine mir unverständliche, Keller tiefe Bassstimme scheint aus einer Blechtonne zu hallen.
Gerade angekommen, wollte ich Andie im 300 Kilometer entfernten Lake Cargelligo anrufen, um ihn zu bitten, mich mit seinem Flugzeug abholen zu lassen. Doch er hatte mir schon jemanden entgegen geschickt.
„Uh uhel“, stellt sich der Mann vor, was offenbar bedeutet, dass er Martin heißt. Neben seiner Pilotenjacke trägt er einen Cowboy-Hut, eine blaue Arbeitshose und Bauarbeiterstiefel.
„Uh uh uheh?“, fragt er mich erneut. Ich überlege, es ist keine Aborigine-Sprache, er muss mich tatsächlich auf Englisch gefragt haben „Are you Alex?“
„Yes, I’m Alex“, erwidere ich nach einer minimalen Denkpause und freue mich, dass es so schnell mit dem Abholen geklappt hat, während Martin ein Taxi heranruft. Das Auto bringt uns zum Flugplatz, und ein kurzer Test ergibt, dass ich keine Probleme habe, unsere Fahrerin zu verstehen.
Martin bereitet die Cessna zum Start vor, ständig ruft er mir etwas zu. Ich dechiffriere kaum ein Wort, er röhrt eher, als dass er spricht. Die gepressten Worte: „Let’s fly“ hören sich an wie „uh uh“. Auch auf mehrmalige Nachfrage hin ist es schwer, ein einzelnes Wort aus dem Gedonner herauszufiltern.
Die Verständigung bessert sich auch nicht, als wir das Flugzeug starten und Motorenlärm die Kabine erfüllt. Wir unterhalten uns über den rauschenden Sprechfunk. Ich schreie in das Mikro, Martin dröhnt zurück. Mir ist es ein Rätsel, wie ihm der Fluglotse im mehr als 1.200 Kilometer entfernten Melbourne-Center die Starterlaubnis erteilen kann.
Wir überfliegen trockenes Buschland, eine Bahnstrecke teilt die Landschaft, daneben schlängelt sich ein Fluss. Damit wir nicht sprachlos nebeneinandersitzen, tippe ich der Reihe nach auf die einzelnen Instrumente im Cockpit und lasse mir deren Funktion erklären. Zwar verstehe ich nichts, doch die einstündige Flugzeit bringen wir so gut herum. „Eigentlich können wir gleich wieder umkehren“, denke ich mir. „Wenn in dieser Gegend alle so sprechen, wird mein Englisch kaum Fortschritte machen.“
Glücklicherweise kommt es anders. Andie ist gebürtiger Deutscher, und Bill, Robert und Steve artikulieren sich verständlich. Zwar reden sie schnell, schalten aber sofort einen Gang runter, wenn sie Fragezeichen in meinen Augen sehen. Lange Abende am Kaminfeuer trainieren mich gut im strine, dem australischen Akzent, der für sie allerdings keiner ist, da sie den Maßstab des britischen Englischs nicht anerkennen. Rein sprachlich liegt meine Lernbandbreite zwischen millionenschweren Angeboten zum Verlegen einer Wasserpipeline, Terminator-Filmen – in denen naturgemäß wenig gesprochen wird – und den ortsüblichen Gesprächsinhalten: Frauen, Wildschweinjagd, die Dürre, korrupte Politiker und das einzig wahre Landleben.
Eigentlich sind das auch Martins Themen, der abends gerne Witze erzählt – zugegebenermaßen vielleicht das anspruchvollste und schwierigste einer Sprache. „Martin, kannst du bitte deutlicher sprechen?“, frage ich.
„Nein, kann ich nicht“, antwortet er erbarmungslos.
Bis zum letzten Tag habe ich Kommunikationsprobleme. Nach drei Monaten sagt er mir: „Uh uh uh uh uh uh.“
Ich schüttle den Kopf. „Wie bitte?“
„Uh uh uh uh uh uh“, erreicht die verschlüsselte Botschaft erneut mein Ohr.
Ich denke nach. Wie? Ach so! „POST – GO – NOW!“ Ich steige ins Auto und bringe einige Briefe weg.
Es tröstet mich, dass selbst Bill seinen Geheimcode nur schwer entschlüsseln kann. Martin bekommt deswegen von uns beiden den internen Spitznamen „Goldberg“ – wie die Filmfigur bei „Police Academy“ mit der schrillen Stimme, die genauso unverständlich ist. Andie dagegen kann sich nicht beklagen. Er kennt Martin seit mehr als 30 Jahren und hat sogar das Fliegen von ihm gelernt. Offenbar hat er kapiert, was die Instrumente im Cockpit bedeuten. Von Anfang an ist er unfallfrei unterwegs.
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