110 Kilometer mit dem Kanu auf der Peene (Tag 3): Das Boot ist weg
Peene-Kilometer 0: Malchin – Aalbude. 15km, 4,5 km/h
Kein Baum bremst hier die Sonne: Bereits um 8 Uhr glüht mein Zelt. Ich hole Brötchen und flüchte dann in den fast eisigen Schatten des Backsteinbaus. Parallel strecke ich beim Kanuverein meine Fühler aus für die Organisation unserer Rückfahrt. Unser Auto steht in Dahmen und von Anklam müssen wir zurück. Dabei fällt mir im Clubraum ein eingerahmtes Trikot mit DDR-Emblem auf. Es ist von Anke Ohde, mehrfacher Kanu-Weltmeisterin in den 1970ern. Sie stammt aus Malchin und wurde hier entdeckt, bevor sie nach Neubrandenburg ins Trainingszentrum wechselte, wie mir stolz die Club-Mitglieder berichten.
Gegen 12 Uhr setzen wir uns wieder in Bewegung. Nun nautisch offiziell auf der Peene, die direkt am Kösters Eck mit Kilometerstand „null“ startet. Nach einer Stunde erreichen wir den Kummerower See. Fast elf Kilometer erstreckt er sich der Länge nach – die wir vollständig durchqueren müssen. Genau am anderen Ende liegt der Abfluss. Wir wollen uns nicht beklagen. Aber nach jahrelangem Kanufahren haben Falko und ich große Seen etwas über, so schön sie alle sind. Landschaftlich steht der Kummerower See dem Malchiner und anderen Seen in Mecklenburg-Vorpommern in nichts nach. Doch sie stundenlang durchfahren zu müssen, hier sogar fast das ganze Tagespensum lang, wirkt auf uns etwas eintönig – wäre da nicht die sportliche Herausforderung.
Wieder weht der Wind aus Südost, die Wellen sind erneut mit uns und beherrschbar. Wie wir später erfahren werden, war erst am Vortag ein Kanu hier gekentert, der Paddler konnte vom Fischer gerettet werden. Wir werden uns heute am Westufer halten, um zumindest die Illusion eines gewissen Schutzes zu haben. Nach guten zwei Kilometern machen wir aber erstmal in Salem Station. Wir ziehen das Boot an Land, spazieren durch den Ort – und als wir wiederkommen, ist die Fram weg. Glücklicherweise nur 50 Meter vom Ufer entfernt. Wären wir später gekommen, wäre sie angesichts des Windes wohl auf den See getrieben. Am Strand hatten zwei Kinder gespielt – jene, die uns fragten, warum wir soviel mit dabeihaben. Jetzt sind sie zwar immer noch da, obendrein mit ihrer Mutter. Doch verhindert haben sie das Abtreiben nicht, sondern offenbar nur zugeguckt. Falko ist vor mir da und springt beherzt in den See, nachdem er sich bis auf die Unterhose ausgezogen hat. Nach nur wenigen Minuten ist er mit dem Boot im Schlepptau wieder da. Mein Fehler. Beim Aussteigen hatte das Boot am Ufer gelegen. Ich hätte es weiter herausziehen müssen. Wir nehmen es vergnüglich, und bis auf die beiden Kinder mit ihrer Mutter ist auch niemand da, der uns auslachen kann.
Nun aber müssen wir endlich den Kummerower See bezwingen, immerhin der Achtgrößte Deutschlands – wie wir zum Glück erst jetzt an einem Schild lesen. Es wird eine sportliche Mischung aus Gewalttour und Durchziehen. Erfreulicherweise haben wir Rückenwind, und das Wetter ist uns wohl gesonnen. Nur das Ende des Sees will und will nicht näher rücken. Die Landschaft aus Feldern und Hügeln, die Bilderbuchszenerie aus tiefstehenden Wolken und die Aussicht auf den wohl verdienten Feierabend bei Bier, Radler und Suppe spornen uns an; ebenso wie unsere einmaligen Gespräche aus Erlebnissen, Anspielungen und Schenkelklopfern unserer fast 30 Jahre alten Freundschaft.
Wir fahren in der linken Seehälfte und wissen von der Karte her zum Glück, dass wir hier auch bleiben sollten. Am Ausgang ragt ein langes Stellnetz weit in den See hinein. Wir sind gespannt auf den Wasserwanderrastplatz „Aalbude“. Am Peenekilometer 15, liegt er direkt am Fluss und entpuppt sich als eine Art Mini-Stadtpark mit viel Publikum, das von der Fähre und dem Restaurant „Aalbude“ auf der anderen Uferseite angezogen wird. Ein beliebter Wander- und Fahrradweg kreuzt. Hier wollen alle übersetzen. Es ist Hochsaison, voll und mittendrin in diesem Trubel sollen wir auf den zwei, drei abgezirkelten Wiesen zelten? Wir sind zu erschöpft, um weiterzufahren, nehmen unsere Klappstühle und trinken erst einmal ein Bier, ich wie immer Lübzer-Radler „Grapefruit“. Alle paar Minuten setzt der Fährmann Leute über. Kaum angekommen, kehrt er voll beladen zurück und bringt sogleich wieder Fahrgäste ans andere, sehr nahe Ufer. Die vielleicht kürzeste Fährverbindung der Welt – und möglicherweise auch die Lukrativste. Obendrein ziemlich lärmend, doch nachts wird das Schiff nicht fahren.
Ist es die sonnige Stimmung, ist es der Alkohol? Die Szenerie gefällt uns immer besser. Was wir hier erleben, eignet sich glatt für eine Dokumentation auf Mare TV. Der bärtige Fährmann Marke „Hipster“ ist ein Original. Leutselig begrüßt er jeden Fahrgast wie einen Freund. Er tröstet weinende Kinder und ruft lauthals dem Wirt von der Aalbude die Frage herüber, ob es sich lohne, unangemeldete Gäste überzusetzen. Lohnt es sich nicht, die Gaststätte ist bis zum Wochenende ausgebucht. Für die Fährgesellschaft ein schlechtes Geschäft, aber nur fair: Die Ausflügler verlassen noch vorm Übersetzen das Schiff.
Die Aalbude scheint ein Geheimtipp zu sein. Ein Ehepaar, dass hier abends spontan essen wollte, wird freundlich abgewiesen. Sogleich zanken sie sich. Jeder macht dem Anderen Vorwürfe, nicht reserviert zu haben. Würde es der Fährmann hören, der wieder auf der anderen Seite ist, er hätte sie garantiert getröstet. Ebenfalls Pech für sie: Ein Tisch leert sich kurz darauf, weshalb der Wirt herüberruft, er könne spontan zwei unangemeldete Gäste vorbeibringen. Wir sind begeistert, ein herrliches Schauspiel in der Abendsonne, obwohl wir gar nicht gebucht hatten. Wir machen uns ein Süppchen warm und trinken ein Radler nach dem anderen.
20 Uhr schon macht das angesagte Restaurant zu, die Fähre stellt für heute ihren Verkehr ein. Alle Touristen gehen nach Hause und zurückbleibt ein gutes Dutzend Wasserwanderer. Es sind deutlich mehr geworden als an den beiden Vorabenden. Nun, wo alle Tagesgäste weg sind, rücken wir unseren Tisch direkt auf die Promenade. Exklusiv essen und trinken wir direkt am Wasser. Und weil die Lampen so grell strahlen, stülpe ich kurzerhand den blauen Ortlieb-Sack und die hellgrüne Tasche meines Zeltes über die Leuchten. Nun sieht es erst recht nach einer Ausgehmeile aus, aber bis auf uns sind fast alle schon im Bett. Nur in den Ferienzimmern über der Gaststätte wird noch gefeiert. Die Gardinen stehen offen, und wir können alles sehen. Jugendfrei, doch wir malen uns bei Jägermeister aus, was uns hier noch geboten werden könnte. Und all das für nur 13 Euro.
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