Peene-Kilometer 15, Aalbude – Demmin: 15 Km, 5,0 km/h

Zumindest der Weggefährte, der Falkos Zelt am nächsten liegt, hat diese Nacht nicht gut geschlafen. Falko hat ordentlich geschnarcht, was der andere ihm am Morgen und auch noch Tage später am anderen Ende der Peene vorhalten wird. Ist es ein Witz oder bitterer Ernst? Er möchte uns nicht einmal verraten, an welchem Ort er die kommende Nacht verbringen wird. Aber auch mir ist es zu laut geworden, so dass ich nicht mehr einschlafen konnte. Um 4.30 Uhr in der Früh baue ich also mein Zelt ab und stelle es an anderer Stelle wieder auf. Vorher habe ich mich allerdings davon überzeugt, dass es in meinem neuen Nachbarzelt ruhig ist.

Aus diesem Grund weiß ich genau, dass bis 4.30 Uhr noch alles in Ordnung war. Am Morgen nämlich, als ich vor Falkos Zelt trete, sehe ich, wie schwer Falko nachts noch weiter gesägt hat: Das Zelt ist eingerahmt von mehreren abgestürzten Ästen der nahen Weide. Glücklicherweise sind sie direkt neben seinem Zelt heruntergekommen und auch nur mittelgroß. Auch das Domizil des Schnarchopfers hätte beinahe etwas abbekommen, nur wenige Zentimeter davor prallten die Äste auf die Wiese. Ein Wunder ist für mich als Berliner auch, dass bereits um zehn Uhr ein Mann mit Kettensäge von der Gemeinde da ist und alles aufräumt.

Heute geht es über das wohl reizvollste Stück des Flusses, und damit meine ich nicht die zehn Sekunden Fahrt mit dem lustigen Fährmann. Obwohl wir schon seit drei Tagen unterwegs sind, seit einem Tag auch amtlich, erleben wir heute den gefühlsmäßigen Peene-Beginn: der Kummerower See ist überstanden, nun kommt nur noch der Fluss.

Wer nur einen Tag Zeit hat, sollte diese Strecke von Aalbude bis nach Demmin fahren. Es ist der vielleicht schönste und lieblichste Teil. Vor allem aber ist die Peene hier hinter dem Flusskilometer 15 noch recht schmal, windet sich ständig und verzweigt sich in verschiedene Flussarme. Später und teils auch heute wächst sie zu ansehnlicher, völlig unerwarteter Breite an und verläuft in großen Kurven oder gerade – was indes die Attraktivität nicht mindert.

Die Sonne gibt wieder alles. Schilfgürtel, Galeriewälder und abgestorbene Bäume säumen das Ufer, genauso wie erste Torfstiche, ein Hauptmerkmal der Peene. An späteren Abschnitten werden sich die stillgelegten, akkurat geschnittenen Teiche wie Orgelpfeifen aneinanderreihen.

Wir erreichen den Wasserwanderrastplatz Trittelwitz, idyllisch gelegen, in der Mitte zwischen Aalbude und Demmin – aber auch idealer Pausenplatz für viele Kanuten und Bootsleute. Es ist voll, die Aussicht auf eine Schilfinsel samt fotogerechter Baumgerippe und den Seitenarm ist allerdings grandios. Wir setzten uns in den Schatten und kommen mit einem Thüringer Jachtbesitzer ins Gespräch. Er macht seit Jahrzehnten hier Urlaub und empfiehlt uns die Flüsschen Trebel und Tollense für künftige Fahrten sowie seinen Demminer Heimathafen vom Segelclub Blau-Weiß für die Übernachtung.

Darauf gehen wir gern ein. Die nächsten beiden Übernachtungsstellen liegen erst hinter Demmin. Der Club des Thüringers wiederum befindet sich günstig am Eingang im Süden, an einem Seitenarm. Mitten in der Stadt, trotzdem malerisch, schauen wir in eine grüne Wand aus Schilf und Bäumen einer Insel, die den kleinen Hafen vom Hauptstrom trennt. Heute richten wir uns von vornherein auf dem Steg ein, beste Wasserlage für unsere Abendgestaltung.

Die Anlage hat eine schöne große Wiese und herzliche Vereinsmitglieder und Zaungäste, die uns hier empfangen. Es wird unser „Übernachtungsplatz der Herzen“. Nur umständlich können wir über die glitschige Slipanlage aussteigen. Ein Zuschauer weist uns freundlich darauf hin, dass es um die Ecke eine – für uns schlecht einsehbare – Hafeneinfahrt gibt. Auf dem Platz begrüßt uns sogleich überschwänglich die Gäste-Verantwortliche, als seien wir zu Besuch bei Oma. Eine Kollegin von ihr erklärt uns liebenswürdig die wichtigsten Eckdaten der Stadt: Wo ist der nächste Supermarkt und wo kaufe ich morgen die Brötchen? Dies allerdings in einer so entzückenden Art, dass wir dahinschmelzen und hier unser Zelt für eine Woche aufschlagen würden. Wir danken in Gedanken dem Thüringer für seinen Tipp und sind froh, uns für den städtischen Platz statt der ländlichen Idylle entschieden zu haben. Und auch der Preis von zehn Euro gesellt sich zum bisherigen Tiefststand von Malchin.

Demmin hat imposante Bauten wie den 1940 erbauten Speicher, die St. Bartholomaei-Kirche und Reste der Stadtmauer – es sind aber lange Wege durch viel Nichts. Leider hat die Stadt am Ende des Krieges völlig ihre Struktur und wohl auch Seele verloren. Zunächst hatte die Wehrmacht Ende April 1945 die beiden Peene-Brücken und die Tollense-Brücke gesprengt. Darauf folgten fürchterliche Racheakte der Roten Armee, die den größten Teil der Innenstadt trotz kampfloser Übergabe Demmins absichtlich zerstörte. Schlimmer noch waren die massiven Übergriffe auf die Zivilbevölkerung, Vergewaltigungen und Brandstiftungen. Aus Angst vor Gräueltaten und Vergeltung kam es vorher wie nachher zum berüchtigten Massensuizid in Demmin. Einwohner und Flüchtlinge erhängten und ertränkten sich, 900 bis weit über eintausend Menschen, so schätzt man. Und so durchfährt man hier die Peene mit einem schrecklichen Gefühl.

 

Hier geht es zu Tag 5, von Demmin nach Sophienhof.