Im Alter von 50 Jahren macht sich die deutsche Journalistin Milli Bau auf den Weg über die Seidenstraße – allein, als Frau und das vor mehr als 60 Jahren, gerade einmal elf Jahre nach dem Krieg. Der einzige zuverlässige Begleiter war ihr VW-Bus. Ein Abenteuer ohnegleichen, herausragend, doch heute wäre eine solche Reise durch den Libanon, Syrien, Irak, Iran, Pakistan und Afghanistan ganz und gar unmöglich. Die Länder, die Milli Bau damals durchquerte, lesen sich derzeit wie ein Who-is-Who von Terrorstaaten, Diktaturen, Failed States, Bürgerkriegsgebieten und Scharia-Regionen. Was heute zu einem Minenfeld mutiert ist, erschien damals noch als orientalischer Traum.

Von Beirut bis Bangladesch

1956 war die Welt noch halbwegs in Ordnung. Die Widrigkeiten – zumindest jene, von denen wir erfahren – erschöpfen sich ganz auf reisetechnische Angelegenheiten in die meist archaischen Wüsten- und Gebirgsregionen, ein Urzustand, in dem sie heute oft wieder angekommen sind. Obwohl ganz und gar nicht selbstverständlich, reibt man sich beim Lesen immer wieder die Augen über die gewisse Normalität, mit der Milli Bau von Beirut bis Bangladesh fährt. Und so stehen auch an kaum einer Stelle dieses faszinierenden Reisevermächtnisses die sonst üblichen Kalamitäten, Hudeleien oder Abzockereien von korrupten Grenzposten – sondern Menschen, Straßen, Basare, Landschaften, Kultur und Erlebnisse.

Bau (1906 – 2005) war bis kurz nach dem Krieg – offenbar eher unfreiwillig, aber nicht ganz unpassend – Siemens-Direktoren-Gattin. Leicht rebellierend, als sei sie zwangsverheiratet worden wie ein Mädchen im Hindukusch, erkämpft sie sich ihre persönlichen Freiheiten und startet bereits 1948 zu einer mehrjährigen, deutschen Expedition nach Bolivien. Erstaunlich, dass nur drei Jahre nach der Niederlage Geld für solch eine Unternehmung da war – aber es war der Beginn ihrer Reisekarriere und des Loslösens von ihrem Siemens-Direktoren-Gatten, der sie immerhin in die entsprechenden gesellschaftlichen Kreise einführte. 1956 dann – und weder Auslöser noch Hindernis für ihr Projekt – stirbt ihr Mann und es geht auf die längst geplante große Reise, an die sich noch dutzende weiterer, vor allem in den Orient und nach Asien anschließen sollten. 1968, immerhin mit 62 Jahren, wird sie die Welt-Korrespondentin im Iran des Schahs, und dies bis 1974.

Eine späte Reisekarriere

Es war ein – spätes, aber dafür umso intensiveres – Leben für das Reisen, für das Entdecken von Kulturen und abgelegenen Regionen, die Europa und Deutschland damals noch so unbekannt waren. Ihren umfassenden reisetechnischen Nachlass aus diesen Jahren, ihre Tagebuchaufzeichnungen, Gedanken und Bilder von ihrer Seidenstraßen-Tour 1956 – 58 und ihrem späteren Iran-Aufenthalt hat die Kunsthistorikerin Julica Norouzi nun zu einem opulenten Bildband in schwarz/weiß verarbeitet (Milli Bau: „Seidenstraße/Silkroad 1956 – 1974“) – eine Hommage an eine Grande Dame des Reisens. Denn Dame, mit Eleganz und Stil, das ist sie trotz Schotterpisten und Hochgebirgspässen immer geblieben: Mit feschem Kleid besteigt sie ihren Bully, mit Sonnenschirm stapft sie zu Sehenswürdigkeit im Wüstensand, wie aus dem Ei gepellt besucht sie Oasen, Nomadenzelte und das völlig verarmte China der 50er Jahre.

Finanziert hat sie die Reisen mit ihren Büchern und durch Vorträge, Unwillkürlich fragt man sich, ob ein damaliger Leser oder Zuhörer die Objekte ihrer Schilderungen exotischer fand als er es heute tun würde. Wahrscheinlich hat beides einen gleich hohen Erkenntniswert, denn so wie ein Autor immer auch durch seine subjektive Brille sieht und erlebt und schreibt, tut es ein Leser ebenso, zumal im Kontext seiner Zeit. Eine solche Reise ist heute völlig undenkbar. Gleichzeitig sieht man, wie wenig diese, überwiegend islamischen Regionen, Fortschritte gemacht haben. Eine der wenigen Veränderungen scheint zu sein, dass heute kein Ausländer, und schon gar nicht eine alleinreisende Frau, mehr unbehelligt durch diese Gebiete fahren könnte.

Ihre Erlebnisse – heute wohl exotischer als damals

Ausgesucht schön ist ihr fotografischer Blick (und die Auswahl durch Herausgeberin Norouzi), herrlich anschaulich ihre Tagebucheinträge – zumal mit einem großen Schuss Humor und Augenzwinkern. Köstlich ihre Schilderungen, wie sie Beamte überlistet, sich völlig abwegige Ausflüge zurechtorganisiert (an deren Zielorten sie oft die erste Weiße ist) oder es sich als Gast im Haus eines europäischen Arztes in Afghanistan bequem macht – bis sie und ihr Gastgeber merken, dass sie sich in der Adresse geirrt hat.

Eine faszinierende Mischung aus archaischen, gefühlvollen Bildern, Porträts, Gedanken, Episoden und einer Zeitreise in eine andere Welt, wunderbar illustriert, sehr aufgeräumt und notwendigerweise stark selektiv, angesichts des gewaltigen Reise-Nachlasses. Nur schade, dass es keine Bildunterschriften gibt, aus denen man mehr zur Situation und den Umständen erfährt. Großer Pluspunkt: eine Karte!

Milli Bau: „Seidenstraße/Silkroad 1956 – 1974“. Kerber Verlag, ISBN 978-3-7356-0389-0 für 40 Euro