Thomson’s Falls Lodge, Nyahururu, 28. bis 30. September 2012. Holzgetäfelte Decken, Parkett, schweres Mobiliar und raumeinnehmende Kamine: Der britische Landhaustraum mit langen, schmalen Schornsteinen, Spitzdächern und Dachschindeln könnte auch in den schottischen Highlands stehen.

Die großen Feuerstellen im verwinkelten Haupthaus des Hotels brennen auf vollen Touren, gleich stapelweise haben die Angestellten das Hartholz entfacht, das nur langsam abbrennt, sodass das Personal den ganzen Abend nichts nachlegen muss. Das lodernde Feuer ist auch dringend nötig, denn nach dem Sonnenuntergang ist es kühl geworden. Schließlich war die in den 1930er Jahren erbaute Thomson’s Falls Lodge in der Nähe Nyahururus, mit 2.360 Metern Höhe Kenias höchstgelegene Stadt, vor allem für jene britischen Siedler, Offiziere und Kolonialbeamten vorgesehen, die der afrikanischen Hitze hierher in die Berge entfliehen wollten. In den acht Dekaden, die seit dem Bau vergangen sind, ist viel passiert: die britische Kolonie Kenia erlangte die Unabhängigkeit – und Leuchtstoffröhren sowie Energiesparlampen wurden erfunden.

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Während fast über dem gesamten Haupthaus wohlige Wärme liegt, zieht es durch den Speisesaal empfindlich frisch. Ausgerechnet hier bleibt der Ofen aus, die Kellner haben die Feuerstelle durch einen Buffettisch zugebaut. Der kühle Lichtschein erwärmt auch nicht gerade das Herz, und durch die dünnen Wände und nur einfach verglasten Fenster – auch dies wohl ein Erbe der Briten – strömt weitere kalte Luft herein. Von hier aus allerdings, und der sich daran anschließenden Terrasse, erstreckt sich tagsüber auf die 74 Meter hohen Thomson Fälle ein grandioser Blick, der jedoch nicht unverbaut ist, da das Hotelmanagement ausgerechnet in die Sichtachse zu den Kaskaden Klettergerüste für Kinder installiert hat. Auch sind die Bäume inzwischen, wie man es auch beim Pflanzen hätte ahnen können, gewachsen, sodass sich nur von zweien der ein Dutzend Tische die volle Aussicht genießen lässt.

Nyahururu: höchste Stadt Kenias

Terrasse, Park und Außenanlagen sind sehr gut gepflegt – das Gras ist so vorbildlich getrimmt, dass der Gärtner sicher auch den heiligen Rasen in Wimbledon bearbeiten dürfte. Innen wäre allerdings eine Generalüberholung fällig. Das Haus lebt nicht mehr von der Substanz, es hat sie bereits aufgefressen, und so bewirtet der einstmals originelle Zufluchtsort inzwischen nur noch wenige Übernachtungsgäste. Die Rezeption im Stil einer Lokalverwaltung liegt versteckt in einem Nebenzimmer, den Eingang blockiert zur Hälfte ein unbenutzter Tisch. Neben dem leeren Tresen befindet sich eine Glaskabine, in der den ganzen Tag abgeschottet eine Kassiererin sitzt und auf das halbe Dutzend Gäste wartet. Als ich später abreise, begleiche ich meine Rechnung jedoch nicht bei ihr, sondern reiche das Geld dem Rezeptionisten über die Theke.

Die Thomson's Falls.
Die Thomson’s Falls.

Erschöpft vom Tag lasse ich mich in einen der Sessel vor dem größten Kamin fallen, der beinahe die Maße einer Abstellkammer aufweist. Unsere kleine Gruppe war in die Schlucht zum Fuße des Wasserfalls hinab gewandert, und der steile, wenn auch kurze Ab- und Aufstieg steckt mir noch in den Knochen. Es ist urig wie in einer Bergbaude: Gemütlich lasse ich den Tag Revue passieren, klicke mich durch meine Fotos, doch bald schweift der Blick in die lodernden Flammen und setzt sich dort fest. Das Holz glüht, rasch muss ich meinen Sessel wegrücken. Wir entscheiden kurzerhand, das Essen hier statt im kalten Speisesaal einzunehmen und beginnen mit Samosa (Teigtaschen) als Vorspeise, auf dem Tisch steht kaltes Bier.

Der zugige Speisesaal.
Der zugige Speisesaal.

Leider jedoch musste sich das Hotel andere Gäste suchen, seitdem die britischen Kolonialbeamten der Kronkolonie Kenia ausgeblieben sind – der Wasserfall ist durchaus eine Attraktion, reicht aber nicht aus, um Touristen länger als einen halben Nachmittag am Ort zu halten. Nun fungiert das Hotel als lokale Kneipe und Sportsbar, zur Kamingemütlichkeit gehört also auch das Verfolgen der englischen Premier League oder anderer Fußballereignisse von einem fernen Kontinent. Im Hauptraum dagegen, in dem wir uns niedergelassen haben, findet sich erstaunlicherweise kein Fernseher – der ist erst wieder unaufgefordert im Speisesaal auf- und auch angestellt. Dafür steht neben uns aber eine große Musikanlage, die zum Glück noch ausgeschaltet ist. Durch zwei, drei nachdrückliche Bitten können wir es für eine halbe Stunde verhindern, dass wir zum prasselnden Feuer Rapmusik hören müssen, dann verschafft uns der Stromausfall weitere ruhige 20 Minuten. Der archaische Charakter des Feuers kommt erst jetzt, wo auch die Leuchtstoffröhren Pause machen, richtig zur Geltung. Gebannt starren wir in die Flammen. Doch dann funktioniert die Energieversorgung wieder, lassen sich die Jungs nicht mehr von der Diskoanlage fernhalten – und das Hotel hat einige zahlende Bargäste weniger, dafür jedoch eine zufriedene, aber nicht konsumierende Jugend.

Vom Kolonialhotel zur lokalen Sportsbar

Gut, inzwischen ist auch mein Zimmer beheizt, das Bier kann ich mitnehmen. Die Hotelzimmer, oder sollte ich eher Schlafräume sagen, liegen gegenüber in zweistöckigen Häusern im Cottagestil – allerdings sind die rohen Hohlblocksteine seit dem Bau immer noch nicht verputzt worden. Die Räume sind großzügig bemessen, haben breite Balkone – und sind nüchtern eingerichtet wie ein altes Kurheim. Die asketische Schlichtheit, ohnehin ist alles in Weiß gehalten, ist durchaus von Qualität, wenn nicht einige ungelenke Einrichtungsversuche mit der Zeit die klaren Linien zerstört hätten: Einen großen Röhrenfernseher, der auf einem Couchtisch steht, hat der Innendesigner halb vor den Kleiderschrank gestellt, und da die Kombination so nicht in die kleinere Ecke passte, ist dahinter ein Loch im Raum entstanden – ein Feng-Shui-technischer Stimmungskiller. Auch hier gibt es, ja muss es geben: einen Kamin, den abends die Servicekraft in Gang bringt. Das harte Holz und deren clevere Anordnung sorgen dafür, dass das Feuer die halbe Nacht brennt und bis zum Morgen behagliche Wärme verbreitet.

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Alle Zimmer haben eine Verbindung zum nächsten Raum – und die dünne Tür und einfachen Wände sorgen dafür, dass ich selbst gar nicht den Fernseher einschalten muss, um die Nachrichten zu hören. Auch den nächtlichen Telefonaten des Nachbarn kann ich gut folgen. Es bleibt ein Rätsel, warum angesichts der üppigen Raumkapazitäten die wenigen Gäste Wand an Wand in den hellhörigen Zimmern einquartiert worden sind.

Das Weiß erinnert an ein Krankenhaus, passend dazu ist ein Waschbecken mitten im Zimmer angebracht, obwohl sich nebenan ein eigenes Badezimmer befindet. Die Türschlösser allerdings funktionieren nicht mehr, dafür sind nun überall Riegel aus dem Baumarkt zum Zusperren angebracht. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein, alle Errungenschaften des britischen Lebensstandards der Vorkriegszeit sind liebevoll konserviert: Das Bad sieht aus wie eine Waschküche im Gemeinschaftskeller, der Abfluss verschwindet im vollverfliesten Boden in rot-braun. Aus dem nicht feststellbaren Duschkopf soll durch Strom erzeugtes Warmwasser sprudeln – doch angesichts der Stromausfallrate hätten die Techniker die Wassererwärmung wohl eher mit dem Kamin kombinieren sollen. Einen erfreulichen Aspekt des Stromausfalls erfahre ich dann jedoch während der nächtlichen TV-Sitzung meines Nachbarn: Urplötzlich ist Ruhe – und als der Generator wieder läuft, ist der Gast wohl schon eingeschlafen, was dann auch mir vergönnt ist.